Abschied auf Raten
Peter Schreier dirigierte im Leipziger Gewandhaus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium
Die Flüsterpropaganda »vermeldete«, die Aufführung des Bachschen Weihnachtsoratoriums im Leipziger Gewandhaus am dritten Advent sei Peter Schreiers letzter Auftritt als Dirigent. Auch im Gewandhaus wurde diese Nachricht bekannt. Doch verbürgen wollte man sich dafür nicht. Eine Rückfrage bei Peter Schreiers Agentur ergab, dass bis jetzt für 2016 noch zwei Konzerte terminiert sind. Ob das die letzten seien, wollte man nicht sagen. Doch dass sich Peter Schreier mit dem Gedanken trägt, auch seine Laufbahn als Dirigent zu beenden, ist keine bloße Vermutung.
So darf davon ausgegangen werden, dass die Aufführung mit den Kantaten 1 bis 3 und 6 im Gewandhaus die letzte mit Peter Schreier als Dirigenten war. Es spricht für Peter Schreiers Künstlertum, dass er mit ihr den Blick nach vorn richtete. Er übertrug die Solopartien vielversprechenden jungen Künstlern, setzte die Anfang der 1990er Jahre von Musikstudenten der Leipziger Hochschule gegründete, aus jungen Künstlern bestehende »camerata lipsiensis« und den Gewandhauschor ein. Mit ihnen konzentrierte sich der Achtzigjährige ganz auf die Aussage des Werkes und deren erfüllte musikalische Gestaltung. Seine sparsame Zeichengebung ist gewiss von der klugen Einteilung der physischen Kräfte geprägt. Doch auch von der kleinsten Bewegung und von den Blicken geht eine alles erfassende Suggestivkraft aus.
Dabei gibt es keine Selbstgefälligkeiten, sondern alles dient dem Werk. Und es gibt auch keine Besonderheiten, die aufhorchen lassen sollen. Diese Interpretation wächst aus der Summe reicher Erfahrungen, die Peter Schreier der jungen Künstlergeneration vermitteln möchte.
Die in der Ukraine geborene, in Lugansk, Kiew und an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater ausgebildete, an der Leipziger Oper mit großem Erfolg tätige Olena Tokar beeindruckte in der Sopranpartie mit ihrem beseelten ausdrucksstarken Gesang. Mit der 1990 in Leipzig geborenen Marie Henriette Reinhold wächst eine Sängerin heran, die schon jetzt die Altpartie überzeugend zu gestalten vermag. Als Evangelist weckte der in Leipzig geborene und ausgebildete ehemalige Thomaner Patrick Grahl starke Eindrücke und ließ auch mit der Hirten-Arie aufhorchen. Für die Baritonpartie hat der kultiviert singende, an der Dresdener Musikhochschule ausgebildete ehemalige Kruzianer Cornelius Uhle gewiss noch Reserven. Den Gewandhauschor, zu dessen Aufgaben die Aufführung des Weihnachtsoratoriums nicht vordringlich gehört, führte Peter Schreier zu einer differenzierten und bewegenden Wiedergabe der Bachschen Chöre und Choräle. Mit der »camerata lipsiensis« demonstrierte der Dirigent eindrucksvoll, wie mit einem jungen Orchester eine sinnvolle Synthese traditioneller Überlieferungen und neuer Erkenntnisse aus der historischen Aufführungspraxis zu erreichen ist.
Die Konzertbesucher feierten Peter Schreier und seine Interpreten stehend mit stürmischem Beifall. Er selbst aber nahm sich zurück, zeigte sich nur in Gemeinschaft mit den jungen Solisten und bezog stets den Chor und das Orchester mit ein. Und er stellte sich mit allen Mitwirkenden in den Dienst einer guten Sache, indem er diese Aufführung als Benefizkonzert zugunsten des Kinderhospizes Bärenherz veranstaltete. Ein unvergesslicher Abend.
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