SYRIZA legt Parteitag auf April
Parlament in Athen votiert für nächstes Paket mit umstrittenen Gläubiger-Auflagen / US-Ökonom Galbraith zu EU-Kurs gegen Griechenland: Berlin wollte »die neue Regierung destabilisieren«
Update 10.30 Uhr: Konservativer Abgeordneter attackiert
Nach einem Angriff einer etwa zehnköpfigen Gruppe von Vermummten ist ein konservativer griechischer Abgeordneter ins Krankenhaus eingeliefert worden. Der 47-jährige Vasilis Oikonomou von der Partei Nea Dimokratia habe sich in Athen in einem Restaurant aufgehalten, als die Gruppe hereingekommen sei und auf seinen Kopf eingeschlagen habe, hieß es am Dienstag aus Polizeikreisen in der Hauptstadt. Festnahmen gab es demnach zunächst nicht. Der Tatort liegt im Athener Stadtteil Exarchia, bekannt für seine große linke Szene. AFP/nd
SYRIZA legt Parteitag auf April
Berlin. Wieder haben Tausende vor dem Parlament in Athen protestiert, wieder stand dort ein Paket mit umstrittenen Maßnahmen zur Abstimmung, welche die internationalen Gläubiger der SYRIZA-geführten Regierung abverlangen - damit diese Geld aus einem Kreditprogramm ausgezahlt bekommt, das sie ursprünglich gar nicht wollte.
Mit Ja stimmten am Dienstagabend alle 153 Abgeordneten der Links-Rechts-Regierung. Selbst die Opposition scheint die Geschlossenheit der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras mittlerweile für gegeben hinzunehmen: 138 der insgesamt 300 Abgeordneten stimmten mit Nein, 9 Parlamentarier blieben der Abstimmung gleich ganz fern.
Am Dienstagabend ging es unter anderem um den umstrittenen Privatisierungsfonds, der öffentliches Eigentum verkaufen und zum Teil unter das Kuratel von EU-Beamten gestellt werden soll; um faule Kredite, die die Banken in Milliardenhöhe belasten, um die Gehaltsstruktur der Beamten, das Rentensystem, neue Steuern. Gewerkschaften hatten zu Protesten mobilisiert. Die beiden großen Gewerkschaften GSEE und ADEDY riefen zu einer Kundgebung vor dem Parlament auf, die mit der kommunistischen KKE verbundene PAME demonstrierte auf dem Omonia-Platz.
Während der vorangegangenen Parlamentsdebatte musste Tsipras dennoch viele Vorwürfe einstecken. »Die Regierung führt das Land in eine Sackgasse, sie überträgt die Last auf den kleinen Mann«, lautete einer der Vorwürfe. Kritik kam aber auch aus den Reihen von SYRIZA. Unter »großen Schmerzen« habe er die umstrittene Vereinbarung mit dem deutschen Flughafenbetreiber Fraport zur Übernahme von 14 griechischen Regionalflughäfen unterschrieben, betonte der Infrastrukturminister Christos Spirtzis.
Das derzeit vergleichsweise geringe Medienecho auf die krisenpolitische Entwicklung in Griechenland hierzulande hinterlässt mitunter den Anschein, der im Januar 2015 begonnene griechische Frühling sei endgültig im neoliberalen Winter eines von Berlin durchgesetzten Austeritätsdiktats erfroren - oder es gebe nicht mehr viel Neues aus Athen zu vermelden. Premier und SYRIZA-Chef Alexis Tsipras ist derzeit vor allem auf dem Feld der Asylpolitik aktiv, auch hier wächst der Druck auf die Regierung in Athen, sie möge die Grenzsicherung für andere europäische Staaten erfolgreicher besorgen. Sogar von einem Ausschluss Griechenlands aus dem Schengenraum ist die Rede - es wäre eine Art flüchtlingspolitischer Grexit.
Doch auch innerhalb von SYRIZA gehen die Debatten weiter. Bei einer Sitzung des Zentralkomitees am vergangenen Wochenende hatte Tsipras erklärt, es müsse wieder eine engere Verbindung von Partei und Regierung geben - der Premier war dafür kritisiert worden, genau diese in der Vergangenheit gelöst zu haben. Tsipras plädierte für eine bessere Vermittlung zwischen Regierung und Gesellschaft, er pochte auf die großen Umbauvorhaben, mit denen Griechenlands altes klientelistisches und korruptes System überwunden werden solle.
SYRIZA wird im kommenden April bei einem Parteitag über den Kurs und den Zustand der vom Streit über die Haltung zum Brüsseler Krisendeal und von der Abspaltung Laiki Enotita gebeutelten Organisation diskutieren. Eigentlich sollte das Delegiertentreffen schon längst stattgefunden haben, doch nicht zuletzt die Gläubiger sorgten mit ihrem Terminkalender dafür, dass das Treffen aufgeschoben wurde.
Tsipras sagte, es bleibe das Ziel, eine »tiefe und radikale Reform des wirtschaftlichen Systems und des Sozialmodells des Landes« durchzusetzen, wobei die Beschäftigtenrechte, die Gehälter, der Sozialstaat und die »Umverteilung des Reichtums zugunsten derjenigen, die von der Krise« am stärksten getroffen wurden, im Vordergrund stehen soll.
Für den US-Ökonomen James K. Galbraith, der aus Solidarität mit der linksgeführten Regierung in diesem Jahr zeitweise in Athen zusammengearbeitet hat, hatte die neue Linke in Griechenland von Anfang an nur begrenzte Chancen – vor allem, weil man es in Berlin vorzog, die dortige Ökonomie unter Druck zu setzen, »um die neue Regierung zu destabilisieren«. Das Problem der SYRIZA-geführten Regierung habe »in ihren unnachgiebigen Verhandlungspartnern« bestanden, sagte er dem »nd«. Diese wollten »nicht darüber reden, wie man Griechenland helfen könnte«.
Galbraith sagte weiter, dass der damalige Finanzminister Yanis Varoufakis und Tsipras »nie Illusionen bezüglich ihrer Möglichkeiten« gehabt hätten. »Ihnen hätte gelingen müssen, die deutsche Regierung davon zu überzeugen, dass ein Politikwechsel für die langfristige Stabilisierung der Eurozone notwendig ist. Doch damit waren sie nicht erfolgreich, weil Berlin am Ende entschied, lieber Griechenland aus der Eurozone zu drängen, als sich der Realität zu stellen.« Zu dieser Grexit-Option ist es bisher nicht gekommen.
Die politischen Kräfte, die dabei auf Athen einwirkten, haben ihren Kurs jedoch nicht revidiert. Als Sieger der seit Jahren anhaltenden krisenpolitischen Auseinandersetzung stehen sie laut Galabraith deshalb aber noch längst nicht da: »Die Konsequenzen sind anhaltende politische Auflehnungen. Man kann dies in Portugal, Irland oder Italien sehen«, so der Wirtschaftswissenschaftler. Es sei eine trügerische Vorstellung des Austeritätsblocks, »dass man die Stimmung in Europa durch die Bezwingung Griechenlands beruhigen konnte«. mit Agenturen
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