Alter Wein in neuen Schläuchen?

Siemens will einmal mehr die Kreativität seiner Beschäftigten nutzbar machen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit einem Innovationsfonds will Siemens neue Wege beschreiten und auch das durch die Korruptionsskandale beschädigte Betriebsklima wieder verbessern.

Eine Meldung ließ dieser Tage aufhorchen: IG Metall, Gesamtbetriebsrat und Unternehmensleitung des weltweit operierenden Technologiekonzerns Siemens AG haben einen »Innovationsfonds« mit einem Volumen von 100 Millionen Euro vereinbart. Ein diese Meldung lesender Arbeiter wird sich fragen: Was ist daran neu? Warum gerade jetzt?

Mit dem Fonds sollen kreative Ideen von Beschäftigten gefördert werden, die innerhalb von drei Jahren in der Produktion umsetzbar sind. Dazu sollen bis 2018 weltweit 100 Millionen Euro bereitgestellt werden. Davon sind für 2016 zehn Millionen Euro Fördergelder für Standorte im »Mutterland« Deutschland eingeplant. »Ab sofort können die Kolleginnen und Kollegen ihre Ideen einreichen«, so ein Betriebsratssprecher auf nd-Anfrage. Ansprechpartner seien Betriebsräte und Betriebsleitungen vor Ort, prüfen die Ideen. Sobald die erste Hürde genommen sei, werde ein aus Vertretern von Betriebsrat und Management besetzter Vergabeausschuss die Idee beurteilen und über die finanzielle Unterstützung entscheiden. Mit der Umsetzung solle die Geschäftsleitung beauftragt werden. Die Mittel sollen dann zeitnah und ausschließlich im Sinne des beantragten Projekts zur Verfügung stehen.

Über den »Innovationsfonds« könnten die Beschäftigten »Ideen jenseits der üblichen Pfade ein- und voranbringen, ohne gleich ein durchgerechnetes Geschäftsmodell vorlegen zu müssen«, freut sich IG-Metall-Hauptkassierer Jürgen Kerner, der im Siemens-Aufsichtsrat auf der Arbeitnehmerbank sitzt. »Das stärkt nicht nur die Mitbestimmung und Beteiligung auf allen Ebenen, sondern auch die Standorte in Deutschland.« Dies sei »eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmenskultur«, so Kerner.

Dass sich die Siemens-Cheftage unter dem Vorstandsvorsitzenden Josef Käser, der sich seit einem USA-Besuch vor einigen Jahren Joe Kaeser nennt, so demonstrativ um eine »erfolgreiche Unternehmenskultur« und »Mitarbeitermotivation« bemüht, dürfte auch den Krisen und Skandalen geschuldet sein, die den High-Tech-Konzern in den letzten Jahren in Verruf und Schieflage brachten. So machte Siemens jahrelang mit einer der größten Korruptionsaffären der deutschen Wirtschaftsgeschichte und langen Gerichtsprozessen Schlagzeilen. Eine Facette waren hohe Schmiergeldsummen, mit denen die Konzernchefs handzahme Betriebsräte und die Scheingewerkschaft AUB fördern und die Mitbestimmung unterlaufen wollten. Jürgen Kerners Freude lässt ahnen, dass die Siemens-Chefs von solchen »Seitensprüngen« nichts mehr wissen wollen und reumütig zur »guten alten« IG Metall zurückgekehrt sind, deren Betriebsräte gleichberechtigt mit am Tisch sitzen.

Dass die Affären und Krisen dem Konzernklima nachhaltig geschadet haben, deutet auch die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn an: »Mit den Mitteln werden Freiräume für Mitarbeiterkreativität geschaffen. Der zwanghafte Blick auf die Marge, ständige Umstrukturierungen und Sparprogramme, sowie Hierarchie- und Silodenken haben bei Siemens in der Vergangenheit zu einer Vernachlässigung innovativer Potenziale geführt.«

Der Siemens-»Innovationsfonds« dürfte auch der Erkenntnis geschuldet sein, dass deutsche Konzerne allein mit der durch die Agenda 2010 beschleunigten Prekarisierung und Senkung von Lohnkosten sich auf Dauer nicht auf dem Weltmarkt behaupten können. Einen ähnlichen Fonds hatte der VW-Konzern vor zehn Jahren eingerichtet. Dem Vernehmen nach wurde damit eine »Diversifizierung« der Produktpalette und erstmalige Produktion von Blockheizkraftwerken auf den Weg gebracht.

Dass die Förderung von Kreativität gar nicht so innovativ und bahnbrechend ist, zeigt ein Blick auf die Industriegeschichte seit dem 19. Jahrhundert. So entdeckten aufstrebende Firmen wie Krupp, Lanz, AEG, Zeiss und Siemens-Schuckert schon im Deutschen Reich die Vorzüge eines betrieblichen Vorschlagswesens, mit dem sie Arbeiter und Angestellte zu Verbesserungsvorschlägen anhielten. Als Anreiz ließen sie den Ideengebern bestenfalls einen Bruchteil der erzielten Einsparungen in Form von Prämien zukommen. In der DDR hieß das Vorschlagswesen Neuererwesen.

»Sollten Geist und Talent statt des Besitzes an der Spitze der bürgerlichen Gesellschaft stehen, der größte Teil der Unternehmer müsste seinen Arbeitern, Werkmeistern, Technikern, Ingenieuren, Chemikern usw. Platz machen«, sagte einst der 1913 verstorbene SPD-Vorsitzende August Bebel. Ähnlich argumentiert der Wirtschaftsjournalist Günter Ogger in seinem 1992 erschienenen Buch »Nieten im Nadelstreifen«: »Kaum einer der ehrgeizigen Akademiker, die zuhauf die Stabsabteilungen der Konzerne bevölkern, hat jemals eine praktische Erfahrung in den Fabrikhallen gesammelt. Was ihr Unternehmen herstellt und verkauft, kennen die meisten nur aus den bunten Bildern der Angebotskataloge. Und über die Produktionsprozesse oder die Arbeitsverhältnisse am Fließband haben die Juristen, Betriebs- und Volkswirte nur eine höchst verschwommene Vorstellung«, so Ogger. »Firmen mit Weltgeltung wie Daimler-Benz, Siemens, Bayer oder Thyssen sind nicht wegen, sondern trotz ihrer Topmanager erfolgreich.«

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