Bei der Counterpropaganda

Martin Leidenfrost besuchte in Brüssel die Gegenspieler der russischen Internet-Trolle

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit die EU im Sommer eine Task Force zur Abwehr russischer Propaganda gründete, fieberte ich diesem Besuch entgegen. Wenn man ein neutral-zerrissener, in Europa vernarrter Russophiler ist, beutelt einen nichts so wie diese Neuauflage des Kalten Krieges. Hundert Abende vor der Glotze des russischen Staatsfernsehens, Tausend gelesene Artikel der Westpropaganda, aufwühlende Diskussionen, angeknackste Freundschaften.

Die mythische Figur dieses Krieges ist der prorussische Internet-Troll. Ich nehme zwar an, dass er existiert, bin aber nicht sicher, ob er sich in den meisten Fällen für Geld engagiert. Die Standpunkte des »Trolls« ertönen quer durch Europa, in meinem slowakischen Café und bei meinem slowakischen Branntweiner, sicher unbezahlt. Auf meine Kolumnen ging übrigens noch nie ein prorussischer Shitstorm nieder. Das macht mich verdächtig. Vielleicht bin ich, ohne es zu wissen, selbst ein prorussischer Troll. Das nur zur Erklärung, warum ich von der EU-Counterpropaganda die interessanteste Begegnung des Jahres erwarte.

Ich muss einen Monat betteln, bis man mich einlässt ins EU-Außenministerium EEAS. Schließlich bin ich drin, am Türschild steht tatsächlich »East StratCom«, »Strategisches Kommunikationsteam Ost«. Eine fabelhafte Aussicht auf den Schuman-Kreisel, auf einen neuen Brüsseler Regentag. Ich stehe allein im Chefbüro und kann mich unbeaufsichtigt umsehen. Schätze mal, beim russischen Gegenpart Dmitri Kisseljow wäre das nicht drin. Ein paar Bücher sind ordentlich aufgelegt, darunter ein buntes Jubelbändchen über den Kiewer Euromaidan auf Englisch.

Mit winziger Verspätung trifft der Teamchef ein. Seinen Namen darf ich nicht nennen, davon abgesehen »haben wir keine Geheimnisse«. Kisseljows NATO-Fresser wüssten den Lebenslauf des Briten gewiss hübsch auszuschlachten: Er arbeitete an der Privatisierung der Britischen Bahn, war Diplomat, Redenschreiber und Türkei-Experte, trat auf der Pro-NATO-Konferenz Globsec in Bratislava auf, und sein Team tauscht sich mit einer vergleichbaren Einrichtung der NATO aus, dem »Exzellenzzentrum für Strategische Kommunikation« in Riga.

Ich frage ihn nach seinem Etat. »Ich habe keinen zugeordneten Etat«, sagt er grinsend, »das große Geld kommt von der Europäischen Kommission«. Viereinhalb Millionen Euro für vier Jahre, acht weitere Millionen für die Schulung osteuropäischer Journalisten. Zum Vergleich, Kisseljows englischsprachiger Nachrichtensender RT verfügt über eine Viertelmilliarde jährlich. Das Zielgebiet der Task Force sind sieben postsowjetische Länder, keine Medien innerhalb der EU selbst. Der Teamchef wäre kein EU-Beamter, verwiese er mich nicht auf eine Homepage. In der wöchentlichen »Disinformation Review« werden auch EU-Beispiele von Falschinformation aufgelistet, »das kann sich ansehen, wer immer es sehen will.« Er gibt sich bescheiden: »Wir versuchen nicht als Rivalen zu konkurrieren.«

Der Mann ist ganz witzig und wahrscheinlich ein netter Chef, dennoch wundert mich, dass gerade er den Job bekommen hat. Er hat sich nämlich nie mit Russland beschäftigt. Sieben der neun Team-Mitglieder sprechen Russisch, er selbst nicht; er »wird anfangen, es zu lernen.« Das russische Fernsehen, das er nicht versteht, nennt er »gelungen«. Er betont, dass er den Job nicht als Brite bekommen hat, sondern als Beamter der EU. Ich spreche EU-Agenden an, die Wasser auf Kisseljows Mühlen sind. Die Angst vor einer Aufnötigung der Homo-Ehe etwa hat er gerade selbst in Georgien mitgekriegt. Er sagt: »Wir gehen gegen Verdrehungen an. Die gleichgeschlechtliche Ehe steht nicht im Acquis.«

Eines will ich noch von ihm wissen: An dieser russischen Propaganda könnte neu sein, dass sie nicht immer das Durchsetzen des eigenen Standpunkts sucht, sondern sich oft mit dem Streuen alternativer Wahrheiten begnügt. Er antwortet, indem er mir Taktiken wie aus dem Lehrbuch aufzählt, »1. Verzerren, 2. Bestürzen, 3. Verwirren«. Ob die Verwirrungstaktik neu ist, kann er mir jedoch nicht sagen. Er hat sich nämlich nie mit Propaganda beschäftigt. Die Zeit, die er mir gewährt, erscheint mir am Anfang quälend kurz, nach 25 Minuten habe ich nichts mehr mit ihm zu reden. Vor der Tür ist sein Regenschirm zum Trocknen aufgespannt, darauf ein britisches Fähnchen und ein ironischer Spruch über das schöne Wetter. Wäre ich ein russischer Troll, würde ich diese Task Force nicht fürchten.

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