Kaltland: Ein Opfer rassistischer Gewalt pro Tag
2015 vier Mal so viele Anschläge auf Flüchtlingsheime wie 2014 / Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Motiv binnen fünf Jahren verdoppelt
Berlin. Die Zahl der rassistischen Gewalttaten in der Bundesrepublik steigt seit Jahren an. Im Jahr 2015 wurden bis einschließlich September laut Angaben des Bundesinnenministeriums 389 Gewalttaten aus rassistischen Motiven mit 300 Verletzten registriert. Statistisch gesehen wurde in diesem Jahr also jeden Tag mindestens ein Mensch Opfer von fremdenfeindlicher Gewalt. Antisemitisch motivierte Gewalttaten werden aber separat gezählt. Bis Ende September 2015 wurden demnach in diesem Jahr 13 antisemitische Gewaltdelikte verübt, 10 Menschen wurden dabei verletzt.
Im Jahr 2014 verzeichnete der Verfassungsschutz 512 Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund. Es war der bisher höchste Stand seit der Neufassung der Definition im Jahr 2001. In mehr als der Hälfte aller Fälle handelte es sich um Körperverletzung. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Taten damit fast verdoppelt. Sie stieg 2014 allerdings auch deshalb an, weil die Übergriffe der rechten »Hooligans gegen Salafisten« auf ihrer Demonstration im Oktober 2014 in Köln dazugezählt wurden.
Auch die Straftaten gegen Unterkünfte von Flüchtlingen haben in Deutschland deutlich zugenommen. So sind Flüchtlingsunterkünfte 2015 mehr als viermal so oft angegriffen worden wie im Vorjahr. Bis Mitte Dezember erfasste die Polizei 850 solcher Fälle. Für mindestens 763 Attacken waren rechtsmotivierte Täter verantwortlich. Im gesamten Jahr 2014 waren laut Bundeskriminalamt 199 Straftaten gegen Asylunterkünfte gemeldet worden, davon waren 177 politisch rechtsmotiviert. 2013 waren es noch 69 Straftaten, davon 58 rechtsmotiviert. Bei den Übergriffen handelt es sich überwiegend um Sachbeschädigung, Propagandadelikte und Volksverhetzung. Aber auch die Zahl der Gewaltdelikte ist von 28 im vergangenen Jahr auf 141 Mitte Dezember gestiegen, darunter 72 Brandstiftungen - 2014 waren es 6.
Vor allem in Sachsen, Bayern und Nordrhein-Westfalen ist ein starker Anstieg politisch motivierter Kriminalität aus rassistischen Motiven festzustellen. Kaum betroffen von rechtsextremistischen Agitationen oder Aufmärschen ist dagegen der Norden. Zum Teil wiegelten die Innenminister trotz der wachsenden Zahl rechtsradikaler Übergriffe und Attacken auf Flüchtlingsheime in Deutschland ab.
In Nordrhein-Westfalen hat sich die Zahl der Übergriffe gegen Flüchtlingsheime gegenüber dem Vorjahr sogar mehr als versechsfacht auf 187. Eine Entwicklung, die Innenminister Ralf Jäger (SPD) als »zutiefst beschämend« empfindet. »Die Szene wird militanter«, stellt er fest. »Die Zahl der Veranstaltungen und Demonstrationen, die Hass und Wut auf Flüchtlinge schüren, hat deutlich zugenommen.« Dabei habe sich der harte Kern des organisierten Rechtsextremismus in NRW nicht vergrößert. Sie versuchten aber verstärkt, die bürgerliche Gesellschaft mit ihren Parolen zu erreichen.
Nach Einschätzung des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), hat die Flüchtlingsdebatte die Hemmschwelle der Rechtsextremisten weiter herabgesetzt. Eine »schleichende Radikalisierung« gebe es aber schon seit mehr als zehn Jahren. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erkennt hingegen keine generelle Verrohung in der deutschen Gesellschaft. In Niedersachsen seien schlimme Vorfälle auch in diesem Jahr die Ausnahme geblieben.
Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) sage: »Hetze im Internet nimmt an Schärfe zu, deshalb bauen wir unsere «Internetstreifen» aus.«. Ansonsten gebe es in seinem Land weder Anzeichen für eine wachsende Radikalisierung noch steige die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsheime. Schleswig-Holsteins Verfassungsschutzchef Dieter Büddefeld beobachtet in seinem Land nur einen moderaten Anstieg beim Rechtsextremismus, macht sich aber auf Schlimmeres gefasst: »Die Rechtsextremisten sind in Lauerstellung«, sagte er der dpa in Kiel. »Sie sagen sich: Das Thema Flüchtlingskrise treibt uns die Leute automatisch zu.« Agenturen/nd
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