Sozialhilfe für EU-Ausländer: SPD macht den Cameron
Nach Nahles nun auch Scholz für Beschneidung der Freizügigkeit in Europa / Haushaltslage der Kommunen als Begründung / Vorbereitung auf Kompromiss mit London - um Brexit zu verhindern?
Berlin. Die SPD macht nun auch Front gegen Sozialleistungen für EU-Ausländer. Nach Arbeitsministerin Andrea Nahles hat sich nun auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende Olaf Scholz dafür ausgesprochen, dass EU-Ausländer erst dann dauerhaft Sozialleistungen beantragen können, wenn sie ein Jahr in einem Land gelebt und gearbeitet haben. Entsprechende Urteile habe der Europäische Gerichtshof schon gefällt. »Freizügigkeit bedeutet nicht, dass man sich aussuchen kann, wo man Sozialleistungen erhält«, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister dem Magazin »Spiegel« laut Vorabmeldung von Freitag. »Wanderungsbewegungen, die durch höhere Sozialleistungen motiviert werden, will aber keiner.« Scholz plädiert »dafür, die deutschen Sozialgesetze für europäische Zuwanderer präzise an die europäische Rechtsprechung anzupassen«.
Schon zuvor hatte die SPD-Politikerin Nahles gefordert, per Gesetz den Sozialhilfeanspruch von EU-Ausländern zu beschränken. »Wir müssen die Kommunen davor bewahren, unbegrenzt für mittellose EU-Ausländer sorgen zu müssen«, sagte sie der »Rheinischen Post« vom Mittwoch. Die Ministerin äußerte sich nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts von Anfang Dezember zu Sozialleistungen für arbeitssuchende Zuwanderer aus EU-Staaten.
Das Urteil schreibt vor, das EU-Bürger bei einem Aufenthalt ab sechs Monaten in Deutschland Hilfen zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe beantragen können. EU-Bürger, die nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu erhalten oder erstmals eine Arbeit zu suchen, sind nach deutschem Recht zwar generell vom Hartz-IV-Bezug ausgeschlossen. Dies gilt auch nach dem Kasseler Urteil weiter. Allerdings muss die Sozialhilfe einspringen, um das Existenzminimum der Betroffenen zu sichern, wie die Richter entschieden.
Die Kommunen befürchten durch das Urteil erhebliche Mehrbelastungen. Nach Einschätzung des Städte- und Gemeindebundes bekommen dadurch zusätzlich 130.000 Menschen in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe. Dies ist aber offenbar nur ein Motiv für die immer lauter werdenden Rufe aus den deutschen Regierungsparteien, die Sozialleistungen für EU-Ausländer einzuschränken. Es geht auch darum, so Beobachter, auf einen Kompromiss hinzuarbeiten, der Großbritannien in der EU halten soll.
Der konservative britische Premierminister David Cameron hatte bereits Anfang November einen Verbleib des Königreichs in der Europäischen Union unter anderem davon abhängig gemacht, dass die Sozialleistungen für EU-Ausländer und ihr Zuzug national begrenzt werden können. Derzeit werde ein möglicher Kompromiss ausgelotet, hieß es in Brüssel - und dabei könnte die Frage der Sozialleistungen der entscheidende Punkt werden.
Das Onlinemagazin »Politico« meldet, Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande hätten einen Gegenvorschlag zu Camerons Forderung formuliert, EU-Bürger sollen nach Einwanderung künftig mindestens vier Jahre arbeiten, bevor sie in Großbritannien einen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen haben - Berlin und Paris sollen sich nun als möglichen Kompromiss eine dreijährige Sperre vorstellen können, so das Magazin unter Berufung auf EU-Quellen.
Als Cameron seine Forderung im November formulierte, hieß es noch, er sei mit dem Vorstoß zur Einschränkung der Freizügigkeit auf Kollisionskurs zu Merkel - die zuvor erklärt hatte, Errungenschaften der europäischen Integration wie das Prinzip der Freizügigkeit und der Nicht-Diskriminierung stünden bei den Beratungen über eine Reform der EU nicht zur Disposition. Nun deuten die Signale in eine andere Richtung. Und die Äußerungen aus der SPD sollen womöglich mit den Boden dafür bereiten, diese Kursänderung innenpolitisch abzustützen.
Nahles jedenfalls zeigte sich zuversichtlich, in der Frage der Sozialleistungen für EU-Ausländer eine schnelle Einigung innerhalb der Bundesregierung erzielen zu können. Das scheint wahrscheinlich: Zuvor hatte bereits die CSU-Landesgruppenvorsitzende im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, ein entsprechendes Gesetz gefordert. Agenturen/nd
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