Neue Aufmerksamkeit für das Grundeinkommen

Netzwerk: BGE wäre auch für Flüchtlinge ein Schritt nach vorn / Telekom-Chef Höttges sieht Modell zum Erhalt der Sozialsysteme in Zeiten der Digitalisierung darin / Finnland steht vor Existenzgeld-Experiment

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Während sich Telekom-Chef Timotheus Höttges für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) ausspricht und Meldungen über eine experimentelle Studie zur Einführung eines universellen Grundeinkommens in Finnland für (nicht immer richtige) Schlagzeilen sorgen, verweisen deutsche Befürworter eines »Existenzgeldes« auf die Potenziale eines Grundeinkommens auch mit Blick auf die Debatte über Flüchtlinge.

»Ein Grundeinkommen überall in der Welt als Recht eines jeden Menschen, egal, wo er lebt und unabhängig von Staatsbürgerschaft und Herkunft, würde zwar keineswegs alle Fluchtursachen beseitigen und nicht alle Probleme lösen, die durch Flucht entstehen«, heißt es in einer Erklärung des Netzwerks Grundeinkommen. Ein solches könne »aber zumindest gewährleisten, dass Menschen ihre Existenz sichern und sich in die Gesellschaft einbringen können – und zwar dort, wo sie leben möchten. Auch würde Migration aus wirtschaftlicher Not und Perspektivlosigkeit weitgehend entfallen.«

Das Netzwerk plädierte daher dafür, sich weiter »für ein Grundeinkommen als Bestandteil globaler sozialer Rechte« einzusetzen. »Auch in Deutschland wäre ein Grundeinkommen für alle hier Lebenden, also auch für Flüchtlinge ein Schritt nach vorn. Jeder Mensch braucht soziale Sicherheit und soll sich in die Gesellschaft einbringen können, ganz besonders, wenn er schutzbedürftig ist«, so der Netzwerkrat schon im Dezember.

Die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen hat derzeit auch aus anderen Gründen eine neue Aufmerksamkeit erfahren. So hat sich etwas der Telekom-Chef für ein solches Modell ausgesprochen. Angesichts der durch Digitalisierung und eine neue Welle der Automatisierung bevorstehenden Veränderungen von Gesellschaft und Arbeitswelt forderte Timotheus Höttges in der »Zeit« zum Erhalt der Sozialsysteme »unkonventionelle Lösungen«: Dabei könne ein bedingungsloses Grundeinkommen »eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen«. Es gehe »um die Frage, wie wir ein faires System für eine Welt von morgen schaffen«.

Es gehe nicht darum, das Grundeinkommen sofort einzuführen. Es könne aber »eine Lösung sein – nicht heute, nicht morgen, aber in einer Gesellschaft, die sich durch die Digitalisierung grundlegend verändert hat«, so der Manager. Zur Finanzierung sollten die Gewinne großer Internetkonzerne stärker besteuert werden: »Wenn Produktivität zukünftig vor allem an Maschinen und die Auswertung von Daten gekoppelt ist, könnte die Besteuerung stärker auf den darauf beruhenden Gewinnen aufbauen und weniger auf der Einkommensteuer des Einzelnen«, sagte Höttges der Wochenzeitung. »Die Gewinnbesteuerung ist wahrscheinlich der richtige Weg. Eine Besteuerung von Daten scheint mir wenig praktikabel und nicht sinnvoll zu sein. Die Besteuerung der Maschinen, die Produktivitätssteigerungen garantieren, würde dazu führen, dass vielleicht weniger Maschinen genutzt würden, als technisch sinnvoll wäre.«

Was auch Höttges weiß: »Die Besteuerung großer Internetkonzerne fällt uns heute schon schwer, weil die ihre Plattformen irgendwo auf der Welt errichten.« Allerdings ist die Idee einer Digitalisierungsdividende auch nicht ganz neu. Schon 2012 schlug der Sprecher des Chaos Computer Clubs, Frank Rieger, einen schrittweisen, aber grundlegenden »Umbau der Sozial- und Steuersysteme hin zur indirekten Besteuerung von nichtmenschlicher Arbeit und damit zu einer Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende« vor.

Rieger wies damals in der »Frankfurter Allgemeinen« darauf hin, dass die derzeitige Finanzierung des Gemeinwesens »größtenteils auf der Besteuerung von menschlicher Arbeit und menschlichem Konsum« beruht. Die zunehmende Automatisierung und Flexibilisierung der Produktion führe »aber zwangsläufig dazu, dass immer weniger Menschen einen regulären Lohn beziehen«.

Mit der »bisherigen Steuerphilosophie kann die nächste Automatisierungswelle daher den sozialen und finanziellen Zusammenbruch von Staat und Gesellschaft innerhalb weniger Jahre verursachen«, warnte Rieger - und er machte auf den bis heute anhaltenden Trend aufmerksam, nach dem »immer weniger Menschen noch eine dauerhafte Arbeit haben, die gut genug entlohnt wird, dass davon Steuern, Sozialversicherungs-, Renten- und Krankenkassenbeiträge gezahlt werden können«. 2012 machten Zahlen die Runde, nach denen fast drei Viertel der in Deutschland neugeschaffenen Stellen Zeit-Arbeitsverhältnisse mit oft geringen Einkommen sind.

Einen weiteren Schub erhält die Grundeinkommensdebatte aus Finnland. Dort wird zwar nicht schon bald ein solches Existenzgeld eingeführt, wie manche Berichte im Dezember glauben machen wollten. Immerhin wurde aber eine Vorstudie über das Grundeinkommen begonnen, so Professor Olli Kangas, der die Studie bei der finnischen Sozialversicherung Kela leitet. Später soll dann eine Praxisstudie zum universellen Grundeinkommen folgen. Ziel sei es, im Rahmen eines »Experiments« Wege zu finden, »um das Sozialversicherungssystem aufgrund der Veränderungen des Arbeitsmarktes umzugestalten«.

Die Mitte-Rechts-Regierung in Helsinki verfolgt aber auch andere Gründe: Es geht um die Vereinfachung des Sozialsystems, das Arbeitslosigkeit, Unterbringung, Ausbildung und Elterngeld umfasst - letztlich steckt darin auch das Motiv, die Staatsausgaben zu verringern.

Laut dem Kela-Forscher Kangas könnte das Grundeinkommen bei rund 800 Euro im Monat liegen - das allerdings ist in Finnland, wo ein Haushalt monatlich rund 3.000 Euro ausgibt, eine Art Armengeld wäre. Die ursprünglich aus dem linken Lager stammende Idee des bedingungslosen Grundeinkommens wird im Grundsatz mittlerweile von einem breiten politischen Spektrum in Finnland unterstützt.

Beim deutschen Netzwerk Grundeinkommen heißt es dazu: »Es ist unklar, wie das Pilotprojekt aussehen wird, es ist unklar, was mit den derzeitigen Sozialleistungen geschieht, und es ist erst recht unklar, wie das finnische Grundeinkommen aussehen wird, sollte es denn eines Tages eingeführt werden.« So oder so aber sei klar, »was in Finnland geschieht, hat Auswirkungen auf die Akzeptanz einzelner Grundeinkommenskonzepte – wenn nicht sogar auf die grundsätzliche Akzeptanz des Grundeinkommens in Europa«. mit Agenturen

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!