BRICS-Staaten wollen bi statt multi

Jörg Goldberg sieht im Vorgehen der Schwellenländer noch kein Streben nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung

  • Jörg Goldberg
  • Lesedauer: 3 Min.

1974 verabschiedete die Generalversammlung der UNO auf Initiative der Entwicklungsländer eine »Erklärung über die Errichtung einer neuen Weltwirtschaftsordnung«, die eine umfassende Reform der durch Dominanz der »Triade« (Nordamerika, Westeuropa, Japan) geprägten globalen Strukturen beinhaltete. Der Versuch, das Weltwährungssystem, den Welthandel insbesondere mit Rohstoffen und die Entwicklungshilfe auf eine neue, gerechtere Basis zu stellen, scheiterte. Die Krise von 1975 und die Schwäche der Entwicklungsländer sorgten dafür, dass die UN-Erklärung geduldiges Papier blieb. 40 Jahre danach sieht die Welt anders aus: Ehemals periphere Länder des Südens haben aufgeholt, die Hegemonie der Triade ist in Frage gestellt.

Der wirtschaftliche Aufstieg des Südens, für den das Kürzel »BRICS« steht (Anfangsbuchstaben der fünf Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), hat bislang aber die globalen Regeln und Organisationen, die den Weltmarkt steuern, kaum verändert. Die BRICS-Länder gehören nun zwar - u.a. als Mitglieder der Gruppe der 20 - zu den wirtschaftlichen Großmächten, die Reformen der globalen Beziehungen durchsetzen könnten. 2016 wird China sogar die G 20-Präsidentschaft übernehmen. Trotzdem gibt es bislang kein Konzept zur Veränderung der weltwirtschaftlichen Regeln, die UN-Forderungen von 1974 wurden nicht wieder aufgegriffen.

Die am meisten ins Auge springende Veränderung ist derzeit die Neigung, multilaterale Regeln durch bilaterale Vereinbarungen zu ersetzen. Das Stocken der seit 14 Jahren laufenden Doha-Runde der WTO belegt diesen Trend: Da klar ist, dass sich der Norden dort nicht mehr durchsetzen kann, plädiert er jetzt für die Aufgabe des globalen Ansatzes. Die ehemaligen Hegemonialmächte reagieren auf ihren relativen Bedeutungsverlust in den globalen Institutionen mit dem Abschluss bilateraler Vereinbarungen wie CETA, TTIP und TPP. Damit verzichten sie allerdings nicht auf die globale Durchsetzung neoliberaler Vorstellungen von Handelsfreiheit, Eigentumsrechten und Finanzmarktregeln. Sie hoffen vielmehr, dass die bilateralen Abkommen eine Dynamik auslösen, der sich letzten Endes auch die Schwellen- und Entwicklungsländer nicht entziehen können.

Bislang konnten sich die neuen Wirtschaftsmächte des Südens in diesem Milieu recht erfolgreich bewegen. Anders als viele Kritiker erwartet hatten, verhinderte die imperialistische Dominanz im Globalisierungsprozess nicht den Aufstieg der BRICS-Länder. Dieser gelang, weil die politische Gestaltungskraft der großen Schwellenländer ausreichte, um sich selektiv bestimmte Regeln der bestehenden Weltwirtschaftsordnung zunutze zu machen und sich anderen zu entziehen. Grundlegende Reformen schienen daher nicht notwendig zu sein. Veränderungen in der Architektur des Weltmarkts, der »global governance«, blieben trotz veränderter Kräfteverhältnisse begrenzt und punktuell. Neue Institutionen wie die BRICS-Entwicklungsbank, die Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank oder das von China vorangetriebene Seidenstraßen-Projekt zielen nicht auf eine neue Global-Governance-Architektur. Solche Projekte sind mit der Tendenz zur Ablösung multilateraler durch bilaterale Regelungen kompatibel. Nicht ganz zu Unrecht wird den BRICS-Ländern vorgeworfen, dass sie zwar verstünden, ihre Interessen auf globaler Ebene durchzusetzen, aber kein globales Reformprojekt hätten.

Das könnte sich in Zukunft ändern. In dem Maße, wie die neuen Wirtschaftsmächte des Südens selbst global agieren, wie der chinesische Yuan Funktionen als internationale Reservewährung übernimmt, wie indische und brasilianische Konzerne transnational werden und sich an führender Stelle in globale Wertschöpfungsketten einklinken, reicht es nicht mehr, sich aus der bestehenden Weltwirtschaftsordnung die »Rosinen« herauszupicken, ohne grundlegende Reformen anzustreben. Die chinesische G 20-Präsidentschaft 2016 steht unter dem Motto »Für eine innovative, gestärkte, miteinander verbundene und inklusive Weltwirtschaft« - womit der Tendenz zur Bilateralisierung eine Absage erteilt wird. Es bleibt abzuwarten, ob damit die Wiederbelebung der Debatte um eine gerechtere, nicht hegemonial konstruierte Weltwirtschaftsordnung eingeleitet wird. Diese wäre zwar immer noch kapitalistisch verfasst, würde aber dem Export neoliberaler Einheitsrezepte Grenzen setzen.

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