Was besagen die neuen fünf Pflegegrade?
Zweites Pflegestärkungsgesetz (Teil 1)
§ 14 SGB XI: Begriff der Pflegebedürftigkeit
Der Begriff der Pflegebedürftigkeit wird völlig neu definiert. Maßgeblich für das Vorliegen von Pflegebedürftigkeit sind Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeitsstörungen in den nachfolgenden sechs Bereichen (Module):
1. Mobilität (Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen etc.);
2. Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (örtliche und zeitliche Orientierung etc.);
3. Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen (nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten);
4. Selbstversorgung (Körperpflege, Ernährung etc., hierunter wurde bisher die »Grundpflege« verstanden);
5. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (Medikation, Wundversorgung, Arztbesuche, Therapieeinhaltung);
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (Gestaltung des Tagesablaufs).
Dabei spielen die bisherigen Zeitorientierungswerte keine Rolle mehr. Vielmehr geht es in der Regel um die Frage, ob die erforderliche Fähigkeit noch vorhanden ist und ob damit verbundene Tätigkeiten selbstständig, teilweise selbstständig oder nur unselbstständig ausgeübt werden können.
§ 15 SGB XI: Pflegegrad
Zur Ermittlung eines Pflegegrades werden die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul addiert und - unterschiedlich gewichtet - in Form einer Gesamtpunktzahl abgebildet. Diese Gesamtpunkte ergeben die Zuordnung zum maßgeblichen Pflegegrad.
Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt.
Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkte);
Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkte);
Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkte)
Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit (ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkte);
Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung (ab 90 bis 100 Gesamtpunkte).
Bei pflegebedürftigen Kindern wird der Pflegegrad durch einen Vergleich der Beeinträchtigungen ihrer Selbstständigkeit und ihrer Fähigkeitsstörungen mit altersentsprechend entwickelten Kindern ermittelt.
Die Feststellung des Vorliegens von Pflegebedürftigkeit oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nach der in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung erfolgt jeweils auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Rechts. Der Erwerb einer Anspruchsberechtigung auf Leistungen der Pflegeversicherung richtet sich ebenfalls nach dem zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht.
§ 140 SGB XI: Überleitung von bestehenden Pflegestufen in die künftigen Pflegegrade
Für Versicherte, bei denen das Vorliegen einer Pflegestufe in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung oder einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung festgestellt worden ist und bei denen spätestens am 31. Dezember 2016 alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine regelmäßig wiederkehrende Leistung der Pflegeversicherung vorliegen, werden ohne erneute Antragstellung und ohne erneute Begutachtung mit Wirkung zum 1. Januar 2017 einem Pflegegrad zugeordnet.
Dabei gelten die folgenden Zuordnungsregelungen:
Pflegestufe ohne eingeschränkte Alltagskompetenz
a) von Pflegestufe I in den Pflegegrad 2,
b) von Pflegestufe II in den Pflegegrad 3,
c) von Pflegestufe III in den Pflegegrad 4,
d) von Pflegestufe III, soweit die Voraussetzungen für einen Härtefall vorliegen, in den Pflegegrad 5.
Bei Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz
a) ohne gleichzeitige Pflegestufe = Pflegegrad 2,
b) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe I = Pflegegrad 3,
c) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe II = Pflegegrad 4,
d) bei gleichzeitigem Vorliegen der Pflegestufe III ohne oder mit Härtefall = Pflegegrad 5.
Überleitung von Bestandsfällen in die neuen Pflegegrade
von nach
Pflegestufe 0 Pflegegrad 2
Pflegestufe I Pflegegrad 2
Pflegestufe I Pflegegrad 3
(mit eingeschränkter Alltagskompetenz)
Pflegestufe II Pflegegrad 3
Pflegestufe II Pflegegrad 4
(mit eingeschränkter Alltagskompetenz)
Pflegestufe III Pflegegrad 4
Pflegestufe III Pflegegrad 5
(Härtefall)
Pflegestufe III Pflegegrad 5
(mit eingeschränkter Alltagskompetenz)
Besitzstandschutz für Bestandsfälle
Es besteht für übergeleitete Pflegebedürftige ein Besitzstandsschutz auf die ihnen unmittelbar vor dem 1. Januar 2017 zustehenden, regelmäßig wiederkehrenden Leistungen bei häuslicher Pflege (§ 141 SGB XI).
Hinsichtlich eines Anspruchs auf den erhöhten Betrag nach § 45b SGB XI (208 EUR) soll ein Bestandsschutz dann gelten, wenn die mit der Pflegereform verbundenen - höheren - Leistungen nicht ausreichen, um die bisher mit dem erhöhten Betrag nach § 45b SGB XI finanzierten Leistungen auszugleichen.
Steigen die Leistungen demnach nicht um mindestens 83 Euro monatlich, so gilt ein Bestandschutz in dieser Höhe. Der Pflegebedürftige erhält dann - wie jeder andere auch - 125 Euro plus seinen Bestandsschutz von 83 Euro (insgesamt also wieder 208 Euro). Die Pflegekasse hat hierüber eine entsprechende Information zu erteilen.
Bei Aufenthalt in einer vollstationären Pflegeeinrichtung soll es durch die Zuordnung in eine gegebenenfalls höhere Pflegeklasse nicht zu einem Anstieg des Eigenanteils des Versicherten oder der Angehörigen kommen. Vielmehr wird die Pflegekasse in diesen Fällen einen Zuschlag zu den neuen Pflegeleistungen (vgl. Anmerkungen zu § 43 SGB XI) zahlen müssen, um den gegebenenfalls ab 1. Januar 2017 bestehenden höheren Eigenanteil im Vergleich zum bisherigen Eigenanteil auszugleichen.
Dieser Zuschlag ergibt sich aus der Differenz des bisherigen Eigenanteils zum gegebenenfalls höheren Eigenanteil und soll dauerhaft gezahlt werden. Künftige weitere Erhöhungen des Eigenanteils durch Erhöhung des Pflegesatzes gehen aber weiterhin zu Lasten des Versicherten.
Interessant ist auch, dass mit dem PSG II ein einrichtungseinheitlicher Eigenanteil eingeführt wird. Dies bewirkt, dass - unabhängig vom Pflegegrad - alle Pflegebedürftigen in der stationären Einrichtung einen einheitlichen Eigenanteil entrichten. Künftige Erhöhungen des Pflegegrades wirken sich dann nicht mehr auf die gegebenenfalls zu entrichtenden Eigenanteile aus, diese bleiben dann gleich.
§ 28a SGB XI: Leistungen bei Pflegegrad 1
Der Pflegegrad 1 betrifft den Großteil der Antragsteller, der bislang von der Pflegekasse eine vollständige Ablehnung erhalten hat. Zurzeit geht man hier von 500 000 neuen Pflegebedürftigen aus, die bislang keine Leistungen der Pflegeversicherung erhalten.
Bei Pflegegrad 1 sind folgende Leistungen vorgesehen:
1. Pflegeberatung gemäß der §§ 7a und 7b,
2. Beratung in der eigenen Häuslichkeit gem. § 37 Absatz 3,
3. zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen gemäß § 38a,
4. Versorgung mit Pflegehilfsmitteln gemäß § 40 Absatz 1 bis 3 und Absatz 5,
5. finanzielle Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen oder gemeinsamen Wohnumfeldes,
6. zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Pflegeeinrichtungen gemäß § 43b,
7. Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen gemäß § 45.
Zudem gewährt die Pflegeversicherung den Entlastungsbetrag gemäß § 45b in Höhe von (dann neu) 125 Euro monatlich. Dieser kann nur beim Pflegegrad I auch für die Sachleistung durch den Pflegedienst (Grundpflege) eingesetzt werden.
Bei vollstationärer Pflege wird ein Zuschuss in Höhe von 125 Euro geleistet.
§ 36 SGB XI: Pflegesachleistung
Anspruchsberechtigt sind die Pflegegrade 2 bis 5:
Pflegegrad 2 689 Euro
Pflegegrad 3 1298 Euro
Pflegegrad 4 1612 Euro
Pflegegrad 5 1995 Euro
§ 37 SGB XI: Pflegegeld
Anspruchsberechtigt sind die Pflegegrade 2 bis 5:
Pflegegrad 2 316 Euro
Pflegegrad 3 545 Euro
Pflegegrad 4 728 Euro
Pflegegrad 5 901 Euro
Bereits ab 2016 wird die Hälfte des bisher bezogenen Pflegegeldes während einer Kurzzeitpflege für bis zu acht Wochen und während einer Verhinderungspflege für bis zu sechs Wochen je Kalenderjahr fortgewährt.
Die Pauschale für den Beratungseinsatz steigt ab 2017 auf 23 Euro (Pflegegrad 1, 2, 3) bzw. auf 33 Euro (Pflegegrad 4, 5). Personen mit dem Pflegegrad 1 können den Beratungseinsatz freiwillig abrufen.
Pflegegeldbezieher mit der Pflegestufe II mit eingeschränkter Alltagskompetenz haben nach aktuellem Recht halbjährlich einen Beratungseinsatz durch eine Pflegedienst abzurufen. Mit der Überleitung erfolgt zum 1. Januar 2017 die Zuordnung in den Pflegegrad 4, so dass ab 2017 ein entsprechender Beratungseinsatz vierteljährlich abzurufen ist.
§ 38a SGB XI: ambulant betreute Wohngruppen
Die monatliche Pauschale steigt auf 214 Euro. Eine Sonderregelung ist für den gleichzeitigen Bezug der Tagespflege geplant. Leistungen der Tages- und Nachtpflege können danach neben den Leistungen der ambulant betreuten Wohngruppen nur in Anspruch genommen werden, wenn gegenüber der zuständigen Pflegekasse durch eine Prüfung des MDK nachgewiesen ist, dass die Pflege in der ambulant betreuten Wohngruppe ohne teilstationäre Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann.
Fortsetzung im nd-ratgeber vom 13. Januar 2016
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