Spekulanten sorgen sich um China

Lucas Zeise über die Aktienturbulenzen in der Volksrepublik und ihre möglichen Folgen für den globalen Kapitalismus

  • Lucas Zeise
  • Lesedauer: 4 Min.

Das war der schlechteste Jahresbeginn des Dax, seit es den Index gibt. So steht es in den Börsenberichten. Sie zeigen uns, wie ernst die Lage sein muss. Auslöser für die schrecklichen Nachrichten waren die chinesischen Aktienmärkte. Dort in Schanghai und Shenzhen haben die Börsen eine furchtbare erste Januarwoche (von minus zehn bis 15 Prozent) hinter sich. Die Regierung (in Gestalt der Börsenaufsicht) stoppte den Handel, wenn es zu steil nach unten ging und kaufte Aktien auf Rechnung der Zentralbank. Beide Maßnahmen waren ungeschickt und halfen nur vorübergehend. Woran man erkennen könne, dass die Partei- und Staatsführung den Kapitalmarkt nicht im Griff habe, lernen wir aus den Zeitungen. Das stimmt wohl, denn die großen Spieler an Wall Street und die etwas weniger großen in Frankfurt, Paris, London und Tokio haben schon mehr als hundert Jahre Erfahrung damit, wie man in enger Kooperation mit Finanzministerium und Zentralbank den Aktienmarkt steuert.

Warum nur lassen sich Dax und Dow Jones, westliche Aktionäre und Händler vom Geschehen in China so schrecken? Sie fürchten, dass nicht nur der relativ junge und unterentwickelte Finanzmarkt in der Volksrepublik Probleme bereitet, sondern die Wirtschaft des ganzen Landes. Das wäre in der Tat wenig erfreulich. Schließlich war China seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise die Hoffnung des globalisierten Kapitalismus. Kein großes Land wuchs schneller. Fast nirgendwo sonst rentierte sich das eingesetzte Kapital so schnell und hoch wie im Land, dessen regierende kommunistische Partei dafür einstand, dass dynamische wirtschaftliche und zugleich stabile politische Verhältnisse existierten.

Diese Partei und ihre Regierung haben laut verkündet, dass das Geschäftsmodell des Landes umgestellt werden muss. Denn das rasante Wachstum des Exports stößt dank der Krise in den Ländern des alten Kapitalismus an Grenzen. Deshalb soll das extrem hohe Niveau der Investitionen zugunsten des Konsums sinken, die Importe stärker als die Exporte zunehmen und das Wirtschaftswachstum behutsam zurückgehen. Zuletzt stand Japan in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts vor der Aufgabe, sich von einer sehr schnell wachsenden, exportgetriebenen Wirtschaft in eine langsamer wachsende, stark vom Binnenmarkt getriebene Ökonomie zu wandeln.

Die Aufgabe ist theoretisch ganz einfach: Damit der Konsum stärker als die Investitionen zunimmt, müssen zumindest eine Weile lang die Masseneinkommen schneller zunehmen als die Gewinne. Das klingt einfach, ist jedoch in kapitalistischen Gesellschaften erfahrungsgemäß schwer zu machen. Japan ist an dieser Aufgabe gescheitert. Stattdessen hat es eine gigantische Aufblähung der Verschuldung sowie der Immobilien- und Aktienpreise gegeben, die 1990 in sich zusammensackte. Seitdem stagniert die japanische Volkswirtschaft bei chronischem Nachfragemangel und wird nur vom Export und der größten Staatsverschuldung auf dem Globus aufrechterhalten.

Die rasante Kreditexpansion, die gestiegenen Preise am Immobilien- und Aktienmarkt im China von heute ähneln dem Japan von vor dreißig Jahren. Allerdings ist die Volksrepublik von heute zu seinem Vorteil weniger als Japan damals in den Weltfinanzmarkt integriert und politisch anders als Tokio nicht vom Wohlwollen der USA abhängig. Der Kurs der chinesischen Währung wird in Peking und nicht in Washington bestimmt. Vermutlich ist es das, was zur Unruhe der Aktienspekulanten beiträgt.

Die chinesische Zentralbank hat im August vorigen Jahres die stetige, leichte Aufwertung des Yuan gegenüber dem US-Dollar beendet. Der Dollar ist seitdem von 6,2 auf 6,6 Yuan gestiegen. Die riesigen Devisenreserven der Zentralbank sind um eine halbe Billion Dollar gefallen. Das ist zum einen die Folge der nachlassenden Exporte. Zum anderen hat Kapitalflucht eingesetzt, die sich verstärkt, weil man in einer abwertenden Währung nominal Geld verliert. Für die Finanzkapitalisten aller Länder einschließlich der chinesischen besteht die Gefahr ja darin, dass der Kurs in Richtung steigende Löhne und weniger stark steigende Gewinne Wirklichkeit wird, dass der Schwenk in Richtung sozialerer Kapitalismus gelingt. Die chinesische Staatsführung tut alles, um propagandistisch gegenzuhalten. Sie klingt wie die EU-Kommission oder der Wirtschaftsrat der CDU und redet von »Strukturreformen« und »Angebotspolitik«. Man kann nur hoffen, dass das Geschwätz ist.

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