Fleisch bleibt Massenware
Anträge für Megaställe nehmen weiter zu / Bundesweit 720.000 neue Schweineplätze geplant / BUND: «Die Geiz-ist-geil-Mentalität hat aber höchstens Risse bekommen.»
Sie ist verbunden mit schlechten Arbeitsbedingungen, Tierquälerei und Umweltschäden – dennoch bleibt Massentierhaltung in Deutschland der Trend. Das ergibt eine Recherche des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), der gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung am Mittwoch den «Fleischatlas 2016» in Berlin vorstellte. Schwerpunkt der Recherche ist die Tierhaltung in den einzelnen Bundesländern. Zwar gebe es ein wachsendes Bewusstsein in der Bevölkerung, so Barbara Unmüßig vom Böll-Vorstand: «Die Geiz-ist-geil-Mentalität hat aber höchstens Risse bekommen.»
Denn es werden immer neue Megaställe beantragt und genehmigt. Nach den BUND-Recherchen seien bundesweit mindestens 720.000 neue Schweineplätze geplant, wovon 418 000 Schweinemastplätze sind. Auch wurden 10,8 Millionen neue Geflügelplätze beantragt, von denen mehr als 6,65 Millionen Hähnchenmastplätze sind. Die Fleischproduktion wächst dabei in jenen Bundesländern am stärksten, in denen bereits überdurchschnittlich viele Tiere gemästet werden. «Neue Tierfabriken werden geplant, wo die Auswirkungen der Fleischindustrie bereits am deutlichsten zu spüren sind», sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.
Neben Nordrhein-Westfalen gelte dies insbesondere für Niedersachsen, wo Mitte 2015 bereits rund vier Millionen Mastschweine gezählt worden seien. Nach BUND-Recherchen wurden zwischen 2012 und 2015 von den niedersächsischen Behörden über 150 000 Schweinemastplätze neu genehmigt. «Allein im Landkreis Vechta wurden zwischen 2013 und 2014 trotz einer bereits existierenden extrem hohen Schweinedichte über 87 000 neue Schweinemastplätze genehmigt. Im Kreis Vechta produzieren knapp 800 Schweinemäster mehr Tiere als in ganz Schleswig-Holstein oder Hessen. »Das gefährdet die Trinkwasserversorgung und geht oftmals mit einer Missachtung des Tierwohls einher«, sagte Weiger.
In den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen werden neben Schweinen in immer größeren Anlagen immer mehr Geflügel gezüchtet. Würden alle beantragten Tierplätze genehmigt, könnte die Masthühnchenhaltung in Brandenburg noch einmal um knapp acht Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern um mehr als 16 Prozent, in Sachsen-Anhalt sogar um über 30 Prozent wachsen. Auch in Sachsen seien neue Megaställe geplant. So wurden im Landkreis Görlitz zwei neue Ställe der Agriconsulting Kampschöer Unternehmensgruppe mit Kapazitäten für insgesamt 270 000 Masthähnchen bereits genehmigt.
Die Fleischproduktion konzentriert sich dabei auf wenige, meist sehr große Schlachthöfe, die rund 75 Prozent der Schweine verarbeiten und einen Marktanteil von 60 Prozent haben. Ein Großteil geht in den Export. Einher geht diese Entwicklung mit einem massiven Höfesterben und dem Verlust von Arbeitsplätzen. »In den letzten 15 Jahren mussten bis zu 80 Prozent der Betriebe die Tierhaltung aufgeben, während gleichzeitig bundesweit bis zu 50 Prozent mehr Fleisch produziert wird«, erklärte Unmüßig. Massiv seien das Höfesterben, Konzentrationsprozesse und die zunehmende Industrialisierung vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen in der Rinder- und Schweinezucht, so Unmüßig weiter. Doch auch in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nehme zwar die absolute Zahl der Schweine- und Hühnerhaltungen ab, die Betriebe würden jedoch immer größer. In Bayern haben fast 30 000 Betriebe und in Niedersachsen mehr als 13 000 Höfe die Schweinehaltung aufgegeben, das sei »ein tiefgreifender Strukturwandel zu Lasten kleinbäuerlicher und mittelständischer Betriebe«, so Unmüßig.
Insgesamt jedoch fallen die Zahlen neuer Tierhaltungsanlagen geringer aus als in den Jahren zuvor. Das dürfte in erster Linie auf schwieriger gewordene Genehmigungsverfahren zurückzuführen sein. In dem Moment, wo die Bevölkerung gefragt ist, regt sich meist Widerstand. So konnten 2014 bundesweit mindestens 30 Megaställe verhindert werden. Für Weiger reicht das noch lange nicht: »Trotz des Bewusstseinswandels haben wir in der Praxis nichts erreicht außer der Verhinderung einzelner Anlagen«. Weiger sieht vor allem die Politik in der Pflicht, etwas zu verändern. Agrarsubventionen müssten künftig stärker an Kriterien wie die Leistung der Betriebe für das öffentliche Wohl gebunden werden, Tierhaltung dürfe nur genehmigt werden, wenn es eine eigene Futtergrundlage gibt. Sonst gebe es keine Chance auf Veränderung. Um gegenzusteuern helfe nur, »runter mit der Menge und rauf mit den Preisen«, so der BUND-Vorsitzende.
Die Verbraucherzentralen forderten am Mittwoch eine einheitliche Kennzeichnung, um den Kauf von Fleisch und Wurst aus besonders tiergerechter Haltung zu erleichtern. Knapp zwei Drittel der Bundesbürger wären bereit, für verlässlich höhere Standards mehr zu bezahlen, wie eine zur Grünen Woche vorgestellte Umfrage für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) ergab. »Tierschutz darf kein leeres Versprechen sein«, sagte vzbv-Chef Klaus Müller am Mittwoch in Berlin. Nötig seien Kon-trollen und auch ein verbindliches nationales Tierschutz-Logo.
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