Entscheidend ist der eigene Weg

Zum 80. Geburtstag des Komponisten Karl Ottomar Treibmann

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Ohne tröstend zu wirken, ohne zu mahnen, zu appellieren, auch ohne aufzuschrecken, könne neue Musik nicht sinnvoll bestehen. So die Erwartung des Karl Ottomar Treibmann, geboren 1936 in Raun/ Voigtland, an Musik. Früh verschlägt es den Komponisten in die Messe-Metropole und Bach-Stadt Leipzig. Dort erlernt er bei ersten Künstlern das Komponieren, und es führt es ihn an das Institut für Musikwissenschaft der dortigen Universität, die den stolzen Namen Karl Marx trug, eine Einrichtung, in der er bis zu seiner Emeritierung 1990 lehrt und forscht. Die frische Luft der Neuen Musik hat er, der auch ein guter Zeichner ist, vornehmlich in Leipzig eingeatmet, obwohl er freilich auch anderswo seine Studien betrieben hat und seine Musik zeigen konnte.

Orchestrale Großwerke hat er schon als Kind gern angehört. Die eigenen tragen durchaus Züge sinfonischer Emphase und spannen große Bögen. Skalen der Empfindung, des Ausdrucks, einer so lockeren wie gespannten Nachdenklichkeit haben darin noch oder wieder Gewicht. Ein kalter Konstrukteur oder aalglatter Romantiker war Treibmann nie gewesen und wird es nicht werden - gute Voraussetzung, den hundertfältig kursierenden gefühligen Verlogenheiten und Illusionen kritisch standzuhalten.

Gleich oder ähnlich die Weise, wie er Leistungen der Musikgeschichte beerbt hat. Des öfteren ist bei ihm von Karl Amadeus Hartmann und Witold Lutosławski die Rede, Komponisten, die er besonders schätzt, an deren Denken und Komponieren er anknüpft. Er glaubt nicht an die Mähr, deren Erfindungen basierten auf »verbrauchtem Material« und für heutige Zwecke untauglichen Konzeptionen. Selbstredend hat er sich die verschiedensten Klangerfahrungen zu eigen gemacht, dabei Moden sich nie unterworfen. Entscheidend ist der eigene Weg.

Sein für ihn erstes gültiges Werk ist eine dreisätzige Klaviersonate aus den frühen 60er Jahren. Erste größere Erfolge bringen sein lebendiges, vor Einfällen nur so sprudelndes Orchesterstück »Capriccio 71«, das rasch bekannt wurde, und sein strukturell-gedanklich hochwertiges bisher einziges Streichquartett.

Drei Opern hat der ausgesprochene Theatermusiker, Mitstreiter Friedrich Schenkers und einstige Meisterschüler von Paul Dessau während der 1970er/ 80er Jahre komponiert: »Der Preis«, »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« nach Grabbe und »Der Idiot« nach Dostojeweski. Die Libretti schrieb der gute Freund und zu unrecht vergessene Dichter Harald Gerlach. Diese Opern bilden gleichsam das Herzstück seiner Produktion. Die früheste, »Der Preis«, uraufgeführt 1980 an den Städtischen Bühnen Erfurt, ist eines der ersten Stücke in der DDR, das Umweltprobleme verhandelt. Protagonist ist darin ein Wissenschaftler. Der stemmt sich gegen den Preis, den man ihm anheften will. »Ein Missverständnis, nichts bewiesen, der Ölfleck, wie er schnell größer wird. Müllhalden wachsen ... Ich will den Preis nicht, mit dem Preis kommt die Schuld auf mich.«

Neben den sieben Sinfonien, die bislang zu Buche stehen - die beiden letzten sind noch unaufgeführt - komponierte er auch die Chorsinfonie »Der Frieden« (1982/83). Uraufgeführt wurde das mit Tenor, Sprecher, Chor, Bläsergruppen und Schlagzeug besetzte Werk 1984 im Neuen Gewandhaus Leipzig. Das Libretto schrieb Volker Braun Anfang der achtziger Jahre im Umfeld seines Bühnenstücks »Großer Frieden«, das im Berliner Ensemble 1981 Premiere hatte. Es entrollt neben eigenen Texten Zitate etwa aus Schillers »Ode an die Freude« und Kloppstocks »Frühlingsfeier« und verkehrt deren Sinn, nimmt überdies Losungen der Friedensbewegung in der Bundesrepublik wie »Freiheit für Grönland« auf und tut hiermit desgleichen. Auch Zeilen aus dem »Solidaritätslied« von Brecht und Eisler kommen nicht ungeschoren davon. Der personifizierte »Frieden« ist gezeichnet als eine aufs Podest gehobene traurige Gestalt, so ohnmächtig wie potenziell von wahrhaft ungeheurem Gebrauchswert.

Treibmanns 5. Sinfonie bringt das Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Masur 1989, als dort die Montagsdemos liefen. Damalige Kritiken würdigten das Werk in höchsten Tönen. Die Musik entsprach einem Lebensgefühl, sie begleitete und kommentierte einen Aufbruch, ja sie verlieh diesem Ausdruck.

Später besinnt sich der Komponist auf jenes Instrument, das ihn schon als Kind und Studierender begeistert hat und das zu traktieren er gelernt hatte: die Orgel. Er schreibt für sie. Das ist kein Abtauchen, wohl aber ein Vorgang des Eingedenkens. 1990 entsteht eine »Trostmusik« für Orgel und eine Psalmodie für Viola und Orgel. 1992 folgen »Vier geistliche Motetten« für gemischten Chor a cappella, 1994 eine »Prediger-Messe« und wenig später das bedeutende »Hoffnungslied« auf Psalmrufe und Prophetenworte für Alt-Stimme und Chor. Der zweite Teil bringt wohl ausgesuchte Sätze des Jeremia und Jesaja. Da heißt es, als würden die umstürzlerischen Apokalyptiker reden: »Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken wird.«

Karl Ottomar Treibmann wird an diesem Donnerstag 80 Jahre alt.

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