Weiß, männlich, unverdächtig
Fabian Köhler über die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht, Vergewaltigungen in deutschen Haushalten und einen »Aufschrei« im Internet
Als weißer Mann bin ich fein raus aus dieser Geschichte. Meinem Privileg verdanke ich es, dass ich sexuelle Gewalt durch Araber und Muslime nur aus Erzählungen kenne. Damals von Kommilitoninnen zum Beispiel, die aus ihrem Auslandssemester in Kairo oft diese eine Geschichte mitbrachten, die sie nicht so nebenbei auf Partys erzählten. Oder durch diese pubertierenden Syrer, die nach ihrem »Ausflug« durch die Altstadt von Aleppo voller Stolz ihren heutigen Bodycount vorstellten. Auch den Schrei dieser Frau im Park erlebte ich nur aus der Ferne, von nahem sah ich dann lediglich die Frustration in den Augen ihrer Retter, die erzählten, wie alltäglich »so etwas« in Teheran geworden sei. Ich brauche keine Angst zu haben. Da ich weder Brüste noch Migrationshintergrund habe, ist die Gefahr, dass ich von Flüchtlingen begrapscht werde genauso gering wie die, von Deutschen niedergeschlagen zu werden, weil sie mich für einen grapschenden Flüchtling halten.
Dabei hätte ich es eigentlich verdient. Legte man jene Pauschalisierung zugrunde, die seit den Übergriffen von Köln zur Regel geworden ist, wäre ich ziemlich am Arsch. Ich entspreche genau dem Profil einer Tätergruppe, an deren Bilanz sexueller Gewaltausübung kein noch so enthemmter Flüchtlingsflashmob herankommt und die dennoch bei der Berichterstattung unberücksichtigt bleibt: weiße Männer.
Ginge es all den Journalisten, Politikern und Stammtischlern wirklich darum, Frauen zu schützen, dann müssten Sie nicht erst in dieser Kolumne lesen, dass seit der Silvesternacht von Köln rund 300 Frauen in Deutschland vergewaltigt wurden. 20 pro Tag! Statistisch und nur die angezeigten Fälle. Und nein, die meisten Vergewaltigungen geschehen weder vor Flüchtlingsheimen, noch auf Bahnhofsvorplätzen, sondern zu Hause, auf Arbeit, bei »Freunden«. Ergo in diesem Land durch weiße Männer.
Dass Deutschland, wie auch der Rest Europas, keine Migranten braucht, um ein feindlicher Ort für Frauen zu sein, hat im vergangenen Jahr eine Studie der EU-Grundrechte-Agentur FRA gezeigt. Jede dritte Frau nördlich des Mittelmeeres hat demnach schon vor ihrem 15. Lebensjahr sexuelle oder körperliche Gewalt erlebt - 22 Prozent der Frauen durch ihren eigenen Lebenspartner. Das Fazit der Studie meint vor allem weiße Männer, würde aber auch in einem Menschenrechtsbericht zu Saudi-Arabien nicht auffallen: »Frauen sind nicht sicher auf den Straßen, am Arbeitsplatz und schlussendlich auch nicht zu Hause, dem Platz, an dem sie Schutz finden sollten.«
Auf Titelseiten schaffte es die Nachricht damals nicht. Stattdessen sieht man dort nun das Klischee vom schwarzen Mann, der Jagd auf weiße Frauen macht. Daran ist nicht alles falsch. Man müsste nur die Hautfarben umkehren. »Sexurlaub« heißt das Phänomen massenhafter Ausbeutung durch Horden weißer Männer. Rund 400 000 deutsche Männer, beteiligen sich jedes Jahr daran, schätzt die Menschenrechtsorganisation Terre des Hommes. 220 Millionen der Opfer sind Kinder, berichtet das Kinderhilfswerks UNICEF. Sexuell ausgebeutet wird aber auch zu Hause: Eine halbe Million Zwangsprostituierte gibt es in Europa, schätzt die Frauenrechts-NGO Foundation of Women’s Forum. Die größte Gruppe sich auf sie und in sie pressender Körper ist weiß, männlich und deutsch.
»Verharmlosung« liest man dieser Tage oft, nachdem jemand darauf hingewiesen hat, dass sexuelle Gewalt nicht erst als Importprodukt des Islam nach Deutschland kam. »Mutter aller Kölnrelativierungen« nennt ein »FAZ«-Autor die Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek. Diese hatte gefordert, sich gegen sexuelle Gewalt einzusetzen - jene durch Nicht-Migranten genauso wie durch durch Migranten, auf wie abseits der Kölner Domplatte, in der Silvesternacht wie an den übrigen 364 Tagen des Jahres. Eigentlich ein Vorschlag, dem sich auch jeder, der absurderweise so privilegiert ist wie ich, anschließen können müsste. Ginge es ihnen wirklich um die körperliche und psychische Unversehrtheit von Frauen, und nicht um moralische Unversehrtheit des weißen Mannes.
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