Bestandsschutz für die Herdprämie
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeutete nicht das sofortige Aus für das Betreuungsgeld
Das Bundesverfassungsgericht ließ im Juli 2015 keine Zweifel offen: »Dem Bundesgesetzgeber fehlt die Gesetzgebungskompetenz für das Betreuungsgeld«, hieß es in der Urteilsbegründung zur umstrittenen Herdprämie. Damit reagierte Karlsruhe auf einer Klage des SPD-geführten Hamburger Senats, der bereits unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes durch die schwarz-gelbe Koalition im Februar 2013 eine »abstrakte Normenkontrolle« eingeleitet hatte. »Das Betreuungsgeld zementiert ein überholtes Familienbild und hält vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien aus den Kitas fern«, sagte Sozial- und Familiensenator Detlef Scheele damals. Anspruchsberechtigt waren die Eltern von Kleinkindern, die ihre Sprösslinge zu Hause betreuten.
Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek brachte juristische Bedenken ins Spiel: »Dem Bund fehlt es an der notwendigen Gesetzgebungskompetenz. Eine bundeseinheitliche Regelung ist nicht erforderlich«. Karlsruhe schloss sich dieser Sicht weitgehend an. Unmittelbar nach Verkündung des Urteils brachen erste Verteilungskämpfe aus. Die Länder waren scharf auf jene 900 Millionen Euro, die der Bund für das Jahr 2015 für die Leistung reserviert hatte. In diesem Jahr war gar eine Milliarde Euro veranschlagt.
Die CSU in Bayern verlangte, der Bund solle die frei werdenden Gelder an die Länder auszahlen. Der Freistaat will am Betreuungsgeld festhalten. Ende November stimmte das bayerische Kabinett für einen Gesetzentwurf von Familienministerin Emilia Müller (CSU), der eine Umwandlung des Bundes-Geldes in eine Landesleistung vorsah. Mittlerweile ist der Entwurf im parlamentarischen Prozess und soll dann rückwirkend zum 1. Januar 2016 gelten.
Die SPD und mehrere rot-grün regierte Länder wollten das Geld hingegen zum Kita-Ausbau verwenden. Doch so schnell geht das nicht. Denn das Betreuungsgeld wurde keinesfalls gestrichen. Zwar kann niemand mehr einen entsprechenden Antrag stellen, weil die Rechtsgrundlage fehlt, doch »für Familien, die derzeit Betreuungsgeld beziehen, erfolgen die Auszahlungen für die Dauer der Bewilligung weiter«, heißt es in einer Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine Anfrage von »neues deutschland«. Dies gelte auch für Familien, »deren Antrag bereits bewilligt wurde, aber die Auszahlung erst in der Zukunft liegt«, so eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber »nd«.
Und auch der letztjährige Streit um die Verteilung der Millionen war nur Show. »Denn die für das Haushaltsjahr 2015 bereitgestellten Mittel wurden insoweit zur Zahlung des Betreuungsgeldes benötigt«, unterstrich die Sprecherin. Das heißt: Das Geld ist weg. Allerdings werden sich in den nächsten Jahren Spielräume ergeben. Denn die Anzahl derer, die Betreuungsgeld erhalten, wird nach und nach abnehmen.
In der Erklärung des Ministeriums liest sich das folgendermaßen: »Der Bund hat die finanziellen Spielräume im Bundeshaushalt, die durch den Wegfall des Betreuungsgeldes bis 2018 entstehen, dazu genutzt, Länder und Kommunen bei Maßnahmen zur Verbesserung der Kinderbetreuung zu unterstützen.« Sprich: Die Bundesregierung kommt den Forderungen der Länder nach und gibt das Geld weiter.
In diesem Jahr beläuft sich die zu verteilende Summe auf 339 Millionen Euro. Im Jahr 2017 sollen es nach Darstellung des Ministeriums bereits 774 Millionen sein. Erst in zwei Jahren, also 2018, laufen die letzten Betreuungsgeldansprüche aus. Dann verteilt der Bund noch einmal 870 Millionen Euro. Dabei wird das Geld aber nicht direkt an die Länder überwiesen, sondern mit dem Finanzausgleichsgesetz, das im Oktober 2015 geändert worden ist, »gemäß Umsatzsteuerverteilung zur Verfügung gestellt«, so das Ministerium.
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