Chinas »neue Normalität«: Wachstum auf 25-Jahre-Tief
Peking meldet nur noch 6,9 Prozent Plus - Dienstleistungssektor sorgt erstmals für mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung / Industrieproduktion und Investitionen steigen weit weniger deutlich
Berlin. Immer wieder verweisen die Konjunkturoptimisten auf China, das den globalen Wachstumsmotor laufen lässt. Doch nun kommen aus dem Reich der Mitte ganz andere Zahlen: Das Wirtschaftswachstum ist nach offiziellen Angaben auf den niedrigsten Wert seit 25 Jahren gesunken. Wie das chinesische Statistikamt am Dienstag bekanntgab, verzeichnete das Land im Jahr 2015 ein Wachstum von 6,9 Prozent.
Damit bestätigt sich die Tendenz zu einer weiteren Verlangsamung der Konjunktur in China. Bereits im vergangenen Jahr war das Wachstum mit einem offiziellen Wert von 7,3 Prozent, dem schwächsten Wert seit 1990, zurückgefallen. Nach 7,0 Prozent in den ersten beiden Quartalen 2015 und 6,9 Prozent im dritten Quartal betrug das chinesische Wirtschaftswachstum im vierten Quartal nur noch 6,8 Prozent, wie die Statistikbehörde mitteilte.
Erstmals trug aber der Dienstleistungssektor mit 50,5 Prozent (Vorjahr: 48,1) zu mehr als der Hälfte der Wirtschaftsleistung bei, was das Statistikamt als Erfolg der Umstrukturierung wertete. Das Wachstum der Industrieproduktion fiel von 8,3 auf 6,1 Prozent im Vorjahresvergleich. Zudem schwächte sich der Anstieg der Einzelhandelsumsätze von 12 Prozent im Vorjahr auf 10,7 Prozent ab. Auch der Immobilienmarkt und die Anlageinvestitionen kühlten deutlich ab. Der Investitionszuwachs im Immobiliensektor fiel von 10,5 auf nur noch 1 Prozent. Die Anlageinvestitionen wuchsen nur noch um 10 Prozent, nachdem sie im Vorjahr noch um 15,7 Prozent zugelegt hatten. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sieht die langfristigen Grundlagen der chinesischen Wirtschaft weiter als tragfähig an und sprach unlängst von einer »neuen Normalität« - die Wirtschaft werde strukturell angepasst und die Triebkräfte würden verlagert.
Trotz der sinkenden Tendenz liegen die chinesischen Wachstumsraten zwar weiterhin deutlich über denen anderer großer Wirtschaftsmächte. Doch die Konjunkturschwäche trifft zum Beispiel auch deutsche Exporteure, die erstmals seit 18 Jahren weniger ins Reich der Mitte ausführen. Die schlechteren Konjunkturaussichten für China, das bisher rund ein Drittel zum globalen Wachstum beitrug, hatten in den vergangenen Wochen bereits zu Turbulenzen an den internationalen Aktienmärkten geführt. Auch die anhaltenden Kursrutsche an Chinas Börsen seit dem Ende des Aktienbooms im vergangenen Jahr sorgten für Unruhe.
Beim Bundeswirtschaftsministerium hieß es vor wenigen Tagen, »die chinesische Wirtschaft befindet sich weiter in einem Transformationsprozess hin zu einem nachhaltigeren Wachstumsmodell. Trotz der Turbulenzen an den Finanzmärkten deuten die aktuellen Konjunkturindikatoren darauf hin, dass es in China gelingt, eine weiche Landung der Wirtschaft zu erreichen.«
Zuletzt hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW vor ungewissen Zeiten für die Konjunktur gewarnt. Noch ließen sich die Folgen der Verwerfungen an den globalen Kapitalmärkten auf die deutsche Wirtschaft nicht absehen, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher vor einigen Tagen. Es gebe aber für 2016 »große Fragezeichen beim Wachstum in China«. Hinzu kämen Rezessionen in Brasilien und Russland und mehrere internationale Konflikte.
Der österreichische Ökonom Stephan Schulmeister hatte sich noch skeptischer gezeigt. »Führende Institute wie die OECD prophezeien seit sechs Jahren für das jeweils folgende Jahr eine Erholung. Und dann kommt der Aufschwung doch nicht. Die Prognosen sind regelmäßig zu optimistisch«, sagte er der vor einigen Tagen »Frankfurter Rundschau«. Die europäische Wirtschaft sei »derzeit in einer klassischen Depression. Und aus der kommt sie nicht heraus, wenn die Regierungen so weitermachen wie bisher.« Agenturen/nd
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