Terror und Technicolor
David Lynch schreibt zum 70. Geburtstag über Meditation und knüpft an seine TV-Serie »Twin Peaks« an
Was ist das für ein Künstler, der blutrote Räume schafft, in denen zwergenhafte Alptraumfiguren rückwärts sprechend ihre unbestimmt-furchterregende Aura entfalten? Was für ein Regisseur kontrastiert eine Kleinstadtidylle unter technicolor-blauem Himmel mit der rasanten Kamerafahrt in ein abgeschnittenes Ohr, oder lässt seinen bösartigen Antihelden halluzinogene Drogen durch ein Atemgerät konsumieren, bevor der wahllos seine Umwelt terrorisiert? Ausgehend von seinen so meisterhaften wie verrätselten filmischen Abgründen, könnte man meinen, der US-Regisseur David Lynch sei ein psychotischer, von düsteren Visionen gemarterter Finsterling. Je mehr man sich jedoch vom angsteinflößend-surrealen Werk löst, und sich der Person zuwendet, umso mehr erscheint Lynch als zugänglicher, ja geradezu leidenschaftlich positiver Mensch. So schreibt er in dem gerade erschienen Buch »Catching The Big Fish. Meditation - Kreativität - Film«: »Bei der Arbeit und im Leben sollten wir alle miteinander auskommen. Wir sollten richtig viel Spaß haben, so wie kleine Hunde, die mit dem Schwanz wedeln.« An diesem Mittwoch wird der durch solch künstlerisches und menschliches Facettenreichtum verwirrende Regisseur, Produzent, Drehbuchautor, Schauspieler, Maler, Fotograf und Komponist 70 Jahre alt.
Auch am Set von Filmen wie »Eraserhead« (1977), »Der Elefantenmensch« (1980), »Blue Velvet« (1986), »Lost Highway« (1997) oder »Inland Empire« (2006) verkörperte das 1946 im ländlichen Montana geborene Multitalent das Gegenteil der für die Leinwand mühevoll hergestellten Angst-Labyrinthe aus dunklen Fluren, organischem Verfall und unheimlichen Doppelgängern: »Es gibt ein paar Leute, die das ganze Regiegeschäft mit Angst zu betreiben versuchen. Ich halte das allerdings für eine Lachnummer - gleichermaßen erbärmlich und dumm«, so der Vater von vier Kindern in seinem Buch, in dem er auch eine Hymne auf die von ihm seit 1973 praktizierte Transzendentale Meditation anstimmt - einem Werk, mit dem er sich gehörig entzaubert. Geradezu in Verzückung versetzt dagegen, dass Lynch, der die Maler Edward Hopper und Francis Bacon als wichtigste Inspirationsquellen nennt, derzeit an die beunruhigende TV-Psycho-Soap »Twin Peaks« (1990) anknüpft (Start: Frühjahr 2017).
Der aktuellen (jährlichen) Debatte um die Dominanz weißer, alter Männer bei der Oscarverleihung zum Trotz muss Lynch als alter, weißer Mann ins Gespräch gebracht werden, der den Oscar mehr als verdient hätte - notfalls für das verrätselte Lebenswerk.
David Lynch: Catching The Big Fish. Alexander Verlag, 168 S, geb., 14,90 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.