Im Akutfall lieber schnell zur Rettungsstelle
Zu wenige Berliner Patienten kennen den Notdienst der Kassenärzte
»Warum sind Sie in die Notaufnahme gekommen?« Danach wurden Patienten im vergangenen Sommer in zwei Krankenhäusern gefragt. Die Ergebnisse stellte der Chirurg Bernd A. Leidel am Dienstag vor. Leidel ist stellvertretender ärztlicher Leiter der interdisziplinären Rettungsstelle am Campus Benjamin Franklin in Steglitz, das zur Charité gehört.
Krankenhäuser und Notfallmediziner klagen häufig über die vielen Lappalien, die in Notaufnahmen behandelt werden sollen. Etwa, weil die Patienten zu bequem waren, sich einen regulären Termin beim Hausarzt zu besorgen, oder weil sie ihre Krankheit völlig überschätzen. Doch so einfach machten es sich Leidel und sein Team bei der Untersuchung nicht. Sie wollten genauer wissen, warum Patienten die Notaufnahme aufsuchen. Es geht also um die Menschen, die selbstständig in das Krankenhaus kommen, nicht um jene, die zum Beispiel vom Rettungswagen gebracht werden. Dazu erarbeiteten Ärzte, Pflegekräfte und Gesundheitswissenschaftler einen Fragebogen, der in den Notaufnahmen des Klinikums Steglitz und der Helios-Kliniken Buch ausgegeben wurde. Rund 2000 Fragebögen kamen zurück, eine Quote von etwa 28 Prozent. Damit liegt erstmals eine derart große Erfassung vor: Bislang wurden mit diesem Fokus auch international höchstens je einige hundert Patienten befragt.
Zunächst sollte die Dringlichkeit der eigenen Behandlung eingeschätzt werden, wofür es vier Stufen von akut (»Ich muss innerhalb einer Stunde von einem Arzt gesehen werden«) bis zu weniger dringlich gab. Außerdem wurden das Schmerzempfinden abgefragt sowie vorhergegangene Versuche, einen Arzt zu kontaktieren. Von den 2000 Antwortenden sahen sich 455 als akut krank, weitere 503 als sehr dringlich. Offenbar hatten diese Patienten in der Regel auch dieser Abstufung entsprechend heftige Schmerzen. Nur zehn Prozent sahen ihre Behandlung als weniger dringlich an.
Für die Planung der Versorgung wichtig sind die Aktionen vor dem Betreten der Notaufnahme. 37 Prozent der Befragten hatten vorher versucht, einen niedergelassenen Arzt aufzusuchen, von diesen fanden wiederum 14 Prozent die Praxis geschlossen - oder die Zeit bis zu einem Termin zu lang. Von dem Drittel der Notaufnahmepatienten, die sich zwischen 8 und 19 Uhr im Krankenhaus einfanden, hatten sogar mehr als die Hälfte vorher versucht, sich ambulant behandeln zu lassen. Elf Prozent der Patienten hatten den Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) kontaktiert - von ihnen waren drei Viertel an die Notaufnahmen verwiesen worden.
Zu den Schlussfolgerungen aus der Befragung zählt für Leidel der Mangel an alternativen ambulanten Notfallpraxen. Der KV-Notdienst war über der Hälfte der Befragten nicht bekannt. Unter der bundesweit einheitlichen Telefonnummer 116117 können die hier im im Wechsel tätigen niedergelassenen Ärzte zu einem (dringlichen) Hausbesuch gerufen werden. Außerdem, so Leidel, sollte die Notfallversorgung zentraler organisiert werden. Die neuerdings möglichen Portalpraxen, in denen niedergelassene Ärzte in direkter Nähe zu Krankenhäusern tätig sind, könnten einfachere Fälle versorgen. Persönlich ist Leidel der Meinung, dass nicht alle 40 Berliner Krankenhäuser Notaufnahmen bräuchten: »Zehn sollten reichen - und die Patienten nach Bedarf an alle Krankenhäuser verteilen können.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.