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»Merde… Dada«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Allein schon wegen der surrealistisch angehauchten Grafiken des Schweizer Künstlers Hannes Binder - aufwendig hergestellt in Schabkartontechnik - lohnt sich dieser Band. Und natürlich auch wegen Friedrich Glauser, der als Vater des deutschsprachigen Kriminalromans gilt und dem Binder schon mehrere Graphic Novels widmete. Dies ist nun allerdings kein Krimi, sondern ein Aufsatz, den Glauser Anfang der 1930er Jahre für den Schweizer »Spiegel« verfasste: »Dada« - Erinnerungen an jene Kunstszene, die von Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco und Hans Arp 1916 in Zürich gegründet wurde, was Glauser als ganz junger Mann aus der Nähe miterlebte.

Der Dadaismus - fern also aller literaturwissenschaftlichen Weihen: Glausers Text lebt von authentischen Beobachtungen der einzelnen Personen, von treffsicheren, respektlosen Urteilen und ist zugleich voller hintergründiger Komik. Wenn heute Ball und Tzara vielleicht in einem Atemzug genannt werden, lagen damals Welten zwischen ihnen. Hinzu kommt: Ersterer wurde von Glauser hochachtungsvoll betrachtet, während letzterer … Nun, darüber braucht man sich nicht zu wundern, wenn man liest, welchen Dienst Glauser dem gebürtigen Rumänen erwies, der eigentlich Samuel Rosenstock hieß und in die rumänische Armee eingezogen worden wäre - es war ja mitten im Ersten Weltkrieg -, hätte ein Zürcher Psychiater ihm nicht eine Dementia praecox bescheinigt. Mit diesem Gutachten bewaffnet, musste sich Tzara in Bern einer ärztlichen Kommission stellen, und Glauser begleitete ihn. »Tzara spielte seine Rolle ausgezeichnet. Er ließ das Kinn hängen und zarte Speichelfäden auf seine schiefgebundene Krawatte träufeln, die ich ihm jedesmal sorgsam abwischte. Die Fragen der rumänischen Ärzte … musste ich beantworten. Tzara beschränkte sich darauf, undeutliche ›Ha‹ und ›Ho‹ zu murmeln.«

Die Situation wird noch weiter ausgemalt, und die Pointe ist, dass Tzara beim Hinausgehen mit dem Zeugnis seiner Kriegsuntauglichkeit in der Hand, zuerst »Merde« sagte und dann, wie zur Bekräftigung, »Dada«.

So war das Wort geboren, das der Bewegung ihren Namen geben sollte. »›Ja, ja‹ heißt es, in den slawischen Sprachen wenigstens, und ich glaube auch in der rumänischen«, fügt Glauser hinzu. Anschaulich werden von ihm nun die Abende in der »Galerie Dada« beschrieben, wo sich Leute versammelten, die heute als große Berühmtheiten gelten, damals allerdings irgendwie nach Wegen suchten, um in den Wirren der Zeit zu bestehen. Der Dadaismus, so urteilt Glauser, sei eine Flucht aus der Zeit gewesen. Verständlich: Das Schlachthaus, das aus Europa geworden war, versinnbildlichte einen »Bankrott des Geistes«. Wer im Glauben an die Vernunft verzweifelt ist, was kann er an seine Stelle setzen? »Dada« eben. Irmtraud Gutschke

Hannes Binder/ Friedrich Glauser: Dada. Limmat Verlag. 63 S., br., 14,80 €.

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