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Ein Staat im Staate

Klaus Behling über eine Behörde, die ein ganzes Land abgeschafft hat - die Treuhandanstalt

  • Jörg Roesler
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Ansichten über die Treuhandanstalt, die in der Endphase der DDR gegründet wurde, gehen seit jeher weit auseinander. Die Treuhandanstalt habe den Ausverkauf der ostdeutschen Wirtschaft betrieben, sie ruiniert und ganze Landstriche deindustrialisiert, heißt es bei Dirk Laabs, Ralph Hartmann und Olaf Baade. Sie führen Beispiele an für die Liquidierung ostdeutschen Industriepotenzials, des materiellen wie auch des »Humankapitals« durch massenhafte Betriebsschließungen. Wo mit stark reduzierten Belegschaften weiter gearbeitet wurde, sind die Betriebe für einen Pappenstiel erworben worden. Die überwiegend westdeutschen Aufkäufer haben sich maßlos bereichert.

Auf der anderen Seite heißt es: Die Treuhand habe das Produktivvermögen der DDR nicht verschleudert, sondern - so z. B. Richard Schröder - in einer riesigen Kraftanstrengung Einzelverträge ausgehandelt, bei der die Käufer Garantien für Investitionen und Arbeitsplätze geben mussten. Und es stimme nicht, dass sich die Westdeutschen an der Privatisierung gesund gestoßen hätten.

Klaus Behling reiht sich mit seiner Publikation in die Riege der Kritiker ein. Er beschreibt, wie die Treuhand - im Februar 1990 ursprünglich als Institution zur Wahrung der Rechte der DDR-Bürger auf das »Volkseigentum« geschaffen - ab Juli 1990 zu einem Privatisierungsbehörde avancierte, die vor allem westdeutsche Schnäppchenjäger bediente. Begünstigt wurde dies dadurch, dass die anfänglich ostdeutschen Leiter der Treuhand rasch durch westdeutsche ersetzt wurden. Und mehr noch dadurch, dass der bis Oktober 1990 agierenden letzten DDR-Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière ebenso wie den im Oktober 1990 gebildeten fünf ostdeutschen Landesregierungen jegliche Einmischung in Privatisierungs- bzw. Liquidierungsverfahren untersagt wurde. Auch die Volkskammer sowie danach der Bundestag blieben faktisch außen vor.

Im dritten Kapitel beschäftigt sich Behling mit einigen der spektakulärsten Privatisierungsfälle, die überwiegend mit der teilweisen bzw. vollständigen Liquidierung der zum Verkauf angebotenen Unternehmen oder Unternehmensgruppen endeten. Behandelt werden hier die Ostseewerften, die Kaligruben um Bischofferode, die Motorradwerke von MZ in Schkopau und der Waschmittelproduzent »Spee« in Genthin. Im folgenden verschweigt der Autor nicht gelungene Privatisierungsfälle, wie die heute viel gepriesenen ostdeutschen industriellen »Leuchttürme« in Jena und Dresden, mit Jenoptik (zu DDR-Zeiten Stammsitz des Zeiss-Kombinats) sowie mit den aus dem Robotron-Kombinat hervorgegangenen Chipfabriken des »silicon saxony«. Behling beschreibt allerdings auch, dass die von der Treuhand erst ab 1992 betriebene Rettung dieser »industriellen Kerne« deshalb möglich war, weil in diesen Fällen der Staat mit immensen Summen aushalf. Natürlich fehlen auch bei ihm die Privatisierungsbeispiele nicht, die sich weitgehend auf Spekulationsgewinne bzw. kriminelles Ausschlachten der betrieblichen Substanz reduzieren lassen.

Es geht Behling nicht in erste Linie um das Hervorrufen von Empörung beim Leser. Er analysiert die Privatisierungsvorgänge akribisch, bleibt dabei stets sachlich und benennt seine Quellen. Der ehemalige DDR-Diplomat beweist ökonomischen Sachverstand. Im abschließenden Kapitel berichtet er über die nicht minder spannenden Aktivitäten der »Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben«, in die die Treuhand per 31. Dezember 1994 umbenannt wurde und deren Tätigkeit am 1. Januar 2004 endete. Auch danach wurden, bis Ende 2013, noch 44 Verträge über ostdeutsche Firmenverkäufe bearbeitet. 2014 waren 1790 Re-Privatisierungsanträgen zu entscheiden.

Wichtiger aber als die organisatorischen Nachfolger der Treuhand sind für Behling die ökonomischen Auswirkungen der radikalen, gnadenlosen Privatisierung der ostdeutschen Volkswirtschaft. Die Art und Weise, wie diese Anstalt ihre Aufgabe löste, nämlich die Anpassung der Strukturen auf dem Territorium der ehemaligen DDR an die Marktwirtschaft der Bundesrepublik, habe im Osten eine abhängige Wirtschaft entstehen lassen, die nur noch eine »verlängerte Werkbank« von westdeutschen Konzernen sei. Dies bremse bis heute die wirtschaftliche Angleichung zwischen Ost und West. Im Osten Deutschlands, urteilt Behling, sei eine »in der Weltwirtschaft einmalige Abhängigkeit einer großen und bevölkerungsintensiven Region innerhalb eines Landes entstanden«.

25 Jahre nach der deutschen Vereinigung sind die Deutschen dies- und kein jenseits der Elbe keineswegs gleichgestellt. Und der in den neuen Bundesländern erreichte Lebensstandard von knapp 82 Prozent des westdeutschen und die ostdeutsche Wirtschaftskraft von knapp 70 Prozent der westdeutschen verdankt sich lediglich den Transferleistungen. Was wird sein, wenn diese 2019 auslaufen? Der Ost-West-Vergleich könnte noch trauriger ausfallen.

Klaus Behling: Die Treuhand. Wie eine Behörde ein ganzes Land abschaffte. Edition Berolina, Berlin. 448 S., geb., 14,99 €.

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