Drei Millionen Mädchen von Genitalverstümmelung betroffen
Absolute Zahl der beschnittenen Frauen immernoch steigend / Grüne fordern bedarfsgerechte medizinische Versorgung in Deutschland und internationales Engagement der Bundesregierung
Etwa 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit sind an ihren Genitalien verstümmelt. Jedes Jahr trifft es etwa drei Millionen Mädchen. Dabei werden ihnen die äußeren Genitalien teilweise oder ganz entfernt. In Deutschland sind schätzungsweise 5.000 Mädchen davon bedroht. Etwa 30.000 Frauen sind bereits verstümmelt. Am Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung am 6. Februar erinnern die Vereinten Nationen und andere Organisationen an die Opfer dieser Verletzung der Menschenrechte.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sterben 25 Prozent der Mädchen und Frauen während des Eingriffs oder an seinen Folgen. Bei der Beschneidung, die oftmals mit stumpfen, ungereinigten Messern oder anderem Werkzeug vorgenommen wird, kann es zu Schockzuständen, starken Blutungen und Infektionen kommen. Die Beschnittenen leiden teils lebenslang an den psychischen Folgen und chronischen Schmerzen, beispielsweise beim Wasserlassen oder während der Menstruation, oder werden unfruchtbar. Natürliche Geburten sind oft kaum möglich und lebensbedrohlich für Mutter und Kind. Laut dem UN-Kinderhilfswerk Unicef waren 44 Millionen Mädchen bei dem Eingriff 14 Jahre oder jünger. In den meisten Ländern würde die Mehrheit der Mädchen vor dem Ende ihres fünften Lebensjahrs beschnitten.
Die Genitalverstümmelung soll der Tradition zufolge Schönheit, Keuschheit und die Heiratschancen der Mädchen und Frauen steigern. Der soziale Status und die Ehre der Familie hängen in einigen Kulturen von der Beschneidung der weiblichen Mitglieder ab. Meist werden die Mädchen entweder kurz nach der Geburt oder im Kindesalter verstümmelt, je nach Tradition aber auch in der Pubertät, unmittelbar vor oder nach der Eheschließung oder nach der ersten Entbindung.
Weibliche Genitalverstümmelung ist in 28 afrikanischen Ländern vor allem südlich der Sahara verbreitet. Außerhalb Afrikas wird der Eingriff vor allem in arabischen Ländern wie Oman und dem Jemen praktiziert. In Europa und Nordamerika lassen Migranten aus den entsprechenden Ländern ihre Töchter beschneiden, häufig geschieht dies während eines Urlaubs in der Heimat.
Die WHO unterscheidet vier Typen von Genitalverstümmelung. Sie gehen von der Verletzung der Klitoris-Vorhaut bis zur Entfernung der Klitoris, der inneren Schamlippen sowie der Innenseite der äußeren Schamlippen. Teilweise wird die Vagina danach bis auf eine kleine Öffnung für Urin und Blut zugenäht. In Ländern wie Eritrea, Dschibuti und Somalia sind fast alle Mädchen nach dieser extremsten Form beschnitten, die Infibulation genannt wird. Die Infibulation wird etwa in 15 Prozent aller Fälle vorgenommen.
Obwohl in einigen Ländern Fortschritte zu verzeichnen seien, werde die absolute Zahl der beschnittenen Frauen bei anhaltendem Trend signifikant steigen. Dies erklärte Unicef am Freitag in New York zum Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung am 6. Februar. Bei einer wachsenden Weltbevölkerung dürfe sich das Problem in Zukunft noch verschlimmern. So geht die »Stiftung Weltbevölkerung« geht davon aus, dass bis zum Jahr 2020 mehr als 15 Millionen weiteren Mädchen der Eingriff droht. Die Genitalverstümmelung sei eine »massive Menschenrechtsverletzung«, erklärte die Organisation.
In Eritrea beispielsweise ist die Beschneidung weiblicher Genitalien seit 2007 verboten. Die grausame Tradition aber hält sich noch immer und sorgt weiterhin für Verstümmelungen und unfassbare Schmerzen. So resumieren auch internationale Hilfsorganisationen, dass gesetzliche Verbote nicht ausreichten. Eine große Rolle spielten auf dem Feld eine Bewusstseinsänderung und Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen.
Die Stiftung Weltbevölkerung unterstützt Aufklärungsinitiativen und Gesundheitsprojekte für Jugendliche in Entwicklungsländern. »Unsere Mitarbeiter und Jugendberater klären junge Menschen über weibliche Genitalverstümmelung und deren schwerwiegende Folgen auf. Unsere Projektarbeit bezieht die Eltern sowie politische und religiöse Meinungsführer ein«, erklärt Renate Bähr, Geschäftsführerin der Stiftung Weltbevölkerung. »Erfreulich ist, dass die Verbreitung der grausamen Praktik in den letzten Jahren etwas zurückgegangen ist, doch in einigen Ländern wie Mali und der Elfenbeinküste sind die Zahlen sogar gestiegen.
Auch in Deutschland sind Mädchen dem Risiko ausgesetzt, heimlich hierzulande oder im Ausland an ihren Genitalien verstümmelt zu werden. So wird der Kampf gegen Genitalverstümmelung nach Ansicht von Experten auch in hierzulande immer wichtiger. Es sei davon auszugehen, dass vor dem Hintergrund des anhaltenden Flüchtlingszuzugs die Zahl der betroffenen Frauen und Mädchen zunehme, sagte Brandenburgs Landesgleichstellungsbeauftragte Monika von der Lippe (Partei Die Linke) zum Internationalen Tag gegen Genitalverstümmelung am Samstag. «Es muss nun darum gehen, diesen Frauen medizinische und psychologische Hilfe zu geben und Präventionsarbeit zu leisten.» Weder Religion, noch Bräuche oder Traditionen rechtfertigten es, Mädchen und Frauen derart massiv in ihren Menschenrechten zu verletzen. Es brauche mehr Aufklärung, Transparenz und vor allem Schutz für Mädchen und Frauen.
Auch die Bundestagsfraktion der Grünen meldet sich mit einer Erklärung «Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung» zu Wort. Die beiden Grünen-Sprecherinnen Ulle Schauws (Frauenpolitik) und Kordula Schulz-Asche (Gesundheit und Prävention) fordern: «Auch in Deutschland müssen langfristig finanzierte Angebote geschaffen werden, um den Betroffenen eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung zu ermöglichen.» Außerdem rufen sie die Bundesregierung dazu auf, sich international verstärkt für verbindliche Vereinbarungen zum Schutz von Mädchen und Frauen vor Genitalverstümmelung einzusetzen. Agenturen/nd
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