Ein Fest des Lesens

»Paris - Ein Fest fürs Leben« von Hemingway

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein französischer Journalist erklärte einmal, jeder Pariser Taxifahrer habe in seinem Auto die »Recherche« (»Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«) von Marcel Proust neben sich liegen. Gemach! Das war gewiss eine Hommage an den verehrten Schriftsteller, aber doch wohl ebenso leicht übertrieben wie die Behauptung des bekannten Schlagers: »Ganz Paris träumt von der Liebe«.

Als jedoch kürzlich ein Reporter im Radio berichtete, dass nach den Anschlägen vom 13. November des vergangenen Jahres ganz Paris wieder und nun erst recht das Buch »Paris - Ein Fest fürs Leben«, Ernest Hemingways einzigartig schöne Liebeserklärung an diese Stadt, läse, habe ich ihm das sofort geglaubt, und ich habe gleich meine alte, zerlesene Reclam-Ausgabe dieser Pariser Skizzen hervorgeholt. Aber natürlich haben es auch unsere Büchermacher sofort begriffen: Die 8. (achte!) Auflage der neuen, erst vor wenigen Jahren in Deutschland erschienenen »Originalausgabe« liegt seit einigen Wochen in den Schaufenstern unserer Buchläden, und es lohnt sich, auch diese preiswerte Paperback-Ausgabe mit Informationen zur Entstehungs- und Editionsgeschichte des letzten, posthum erschienenen Buches von Ernest Hemingway zu erwerben.

Aber ganz gleich, ob man diese oder die frühere Ausgabe zur Hand nimmt, das Lesen der »Skizzen«, die der weltbekannte Schriftsteller anhand von Aufzeichnungen aus seinen Jugendjahren in Paris noch kurz vor seinem Freitod zu Papier brachte - es wird erneut zum Fest des Lesens. »Wenn du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu leben, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.« Dieser Satz, den Hemingway einmal einem Freund schrieb, gab der deutschen Buchausgabe den Titel (der amerikanische lautet »A Moveable Fest«). Ein ganz ähnlich lautendes »Bekenntnis« rundet die Skizzen ab: »Paris geht niemals zu Ende, und die Erinnerung an jeden einzelnen Menschen, der dort gelebt hat, unterscheidet sich von der an jeden anderen. Wir sind immer dorthin zurückgekehrt, egal, wer wir waren und wie es sich verändert hatte.«

Paris in den Jahren 1921 bis 1926. Die Stadt ist ein Schmelztiegel und Nährboden der Künste und des Aufbruchs in die Moderne, ein Begegnungs-Ort der Schriftsteller, Dichter und Maler, ein Sammelbecken der Wohlhabenden und der armen Schlucker, der Modernisten und Unkonventionellen. Man begegnet sich in den Salons, den berühmten Cafés und teuren oder billigen Restaurants, je nach dem Umfang der Geldbörse oder der Großzügigkeit der Freunde. Der junge Ernest Hemingway und seine Frau Hadley wohnen mit ihrem Söhnchen sehr bescheiden, aber glücklich über einer Sägemühle in der Rue Notre-Dame-des-Champs (»Vom Glück handelt dieses Buch«). Er schreibt Reportagen für Zeitungen auf dem amerikanischen Kontinent, beschließt aber gerade, Schriftsteller zu werden, und verfasst eine Reihe von Porträts und Kurzgeschichten unterschiedlicher Thematik, über Menschen und ganz Alltägliches oder über Sportereignisse.

Anregung bietet vor allem das exzentrische Künstlervolk. Um sein bescheidenes Einkommen aufzubessern, versucht Hemingway sein Glück durch Wetten bei Pferderennen. An den Kais der Seine beobachtet er die Fischer und Angler und die Stände der legendären Bouquinisten. Im berühmten Buchladen von Sylvia Beach »Shakespeare and Company« in der Rue de l’Odéon kann er sich, so viel und so lange, wie er möchte, die Romane der großen russischen Schriftsteller ausleihen. Im Salon der reichen Gertrude Stein sind die Wände mit »Picassos« vollgehängt. Am Ende dieser Zeit wird er seinen ersten Roman »Fiesta« vollendet haben.

Lesend tauche ich wieder ein in die Pariser Atmosphäre der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, begegne berühmten Schriftstellern wie James Joyce und Ezra Pound. Eine der schönsten und traurig­witzigsten Geschichten ist die einer gemeinsamen Fahrt nach Lyon mit dem Schriftsteller Scott Fitzgerald, die zum Fiasko wird, weil Fitzgerald nicht nur große Probleme mit seiner Frau Zelda, sondern auch mit dem Alkohol hat, was offensichtlich beides ziemlich eng verknüpft ist, ihn aber nicht daran hindert, gerade seinen tollen Roman »Der große Gatsby« in die Welt zu schicken. »F. Scott Fitzgerald war der Größte von uns«, hat Hemingway später einmal gesagt, und wie die Freundschaft und Bewunderung in Paris begann, das kann man hier lesen.

»Paris ist der beste Arbeitslatz der Welt für eine Schriftsteller«, heißt es einmal im Buch, und an anderer Stelle: »Die Notizbücher mit den blauen Rücken, die zwei Bleistifte und der Bleistiftspitzer (ein Taschenmesser war zu verschwenderisch), die Tische mit den Marmorplatten, der Geruch des frühen Morgens, des Auffegens und Aufwischens, und Glück war alles, was du brauchtest...«

Da stellt sich heutigem Leser schon mal die Frage nach all den unnützen Dingen, die eigentlich nur am Schreiben hindern, vor allem aber am Glücklichsein. Paris - ein Fest fürs Leben, Paris - ein Traum?

Als ich erstmals nach Paris fuhr, glaubte ich, Vieles, was ich sah, schon einmal geträumt zu haben. Ich irrte. Ich kannte es längst aus Hemingways Pariser Skizzen. Gewiss, auch er erlebte, wie eingangs zitiert, bei jeder Rückkehr die Veränderungen der Stadt. Der Wandel ist unaufhaltsam, aber »Paris geht niemals zu Ende«. Zusammen mit Pariser Lesern träumen wir uns wieder in ein Café am Boulevard St. Germain oder auf eine Bank an der Seine, holen uns die unverlorene Zeit des jungen Hemingway zurück.

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