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Yoko Ono in Berlin: Das Prinzip Hoffnung

Für den Frieden, den Feminismus und die Beteiligung des Publikums: Dreimal Yoko Ono in Berlin

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 6 Min.
Yoko Ono mit einem Hammer aus Glas: »Half-a-Wind Show«, Lisson Gallery, London, 1967
Yoko Ono mit einem Hammer aus Glas: »Half-a-Wind Show«, Lisson Gallery, London, 1967

Wer Lust auf eine Überdosis Yoko-Ono-Kunst hat, erhält in Berlin die gute Chance, sich diese gleich an drei Orten zu holen: im Gropius-Bau, in der Neuen Nationalgalerie und im Neuen Berliner Kunstverein (NBK). In diesen Institutionen ist das Werk der 1933 in Japan geborenen und mittlerweile in Upstate New York zurückgezogen lebenden Fluxus-Künstlerin retrospektiv bis in den Sommer hinein zu sehen.

Die von der Tate Modern und der Kunstsammlung NRW organisierte und bereits 2024 in London und Düsseldorf gezeigte Ausstellung »Music of the Mind« macht nun Station im Gropius-Bau. Über dem prunkvollen Lichthof hängt ein großes Transparent mit dem Slogan »Peace is Power«. Auch wenn es aktuell an vielen Orten der Welt nicht nach Beendigung von Kriegen und Befriedung aussieht, zieht sich der obsessive Einsatz Yoko Onos für Frieden – schließlich erlebte sie als Kind die Auswirkungen der Atombombenabwürfe der USA 1945 in Hiroshima und Nagasaki – mit künstlerischen Mitteln beharrlich durch ihr gesamtes Werk.

Die Antizipation des noch nicht Realisierten und noch zu Erkämpfenden, das nur als Hoffnung und Traum existiert, spielt eine riesige Rolle in ihren Arbeiten und erinnert an Ernst Blochs »Prinzip Hoffnung«. 1969 propagierte Ono zusammen mit ihrem dritten Ehemann John Lennon auf dem Höhepunkt des Vietnam-Krieges mittels Projektion und Plakatierung unter anderem im Westberliner Bezirk Kreuzberg sowie international in ganzseitigen Anzeigen, nicht nur in der »New York Times«: »War is over. If you want it«. Jede/r ist gefragt, seine Stimme gegen den Krieg zu erheben. Eine sehr sinnvolle Aktion mit einer Botschaft, die heute nicht aktueller sein könnte.

Dass Kunst allerdings wirklich die Welt verändern kann, wie die demnächst aus dem Amt scheidende Bundesbeauftragte für Kultur und Medien Claudia Roth (Grüne) in ihrer eigenwilligen Mischung aus zur Schau gestellter Empathie und Hysterie bei einer Vorbesichtigung für geladene Gäste behauptete, muss bezweifelt werden. Unter Ausblendung der Tatsache, dass gerade ihre Partei auf Militarismus und »Kriegstüchtigkeit« setzt und die Friedensbewegung denunziert, zitierte Roth den Text von »Imagine«, ohne zu bemerken, dass es nicht nur aus feministischer Sicht etwas peinlich anmutet, Onos Werk mit einem Song von Lennon zu würdigen.

Yoko Ono hatte sich schon vor dem weltweiten Erfolg der Beatles im Kunstbereich einen internationalen Namen gemacht, als sie 1966 bei einer Einzelausstellung in der Indica Gallery in London den kunstaffinen John Lennon kennenlernte. Eines ihrer Werke bestand aus einer weißen Leinwand, einem Hammer und einem Gefäß mit Nägeln. Der Titel lautete »Painting to hammer a nail« (Gemälde, um einen Nagel einzuschlagen). Lennon kam auf sie zu und fragte, »ob es okay sei, wenn er einen imaginären Nagel einschlüge«, erinnerte sich Ono später an diese Szene. »Ich dachte, da habe ich wohl einen Kerl kennengelernt, der dasselbe Spiel spielt wie ich«, nachzulesen im begleitenden Katalog zur Ausstellung im Gropius-Bau.

Im Vergleich zur vorangegangenen Station der Ausstellung im K20 in Düsseldorf im vergangenen Jahr werden die ephemeren und zarten Arbeiten Onos in den Räumen des Gropius-Baus viel großzügiger und einnehmender präsentiert. Bereits der erste Raum ist irritierend leer, und es dauert eine Weile, die zarten und kleinen Textzeilen mit den auf den ersten Blick mysteriösen und philosophischen Botschaften zu entdecken.

Mit »Many rooms, many dreams, many countries in the same space …« verweist Ono auf die erwartbare Diversität des Publikums, das aus vielen Individuen bestehend, virtuell seine eigenen Räume beanspruchen und in sich tragen soll. Überhaupt wendet sie sich mit ihren Haiku-artigen Sentenzen – viele stammen aus ihrem legendären Büchlein »Grapefruit« aus dem Jahr 1964 – direkt an das Publikum. Es sind meist poetische Aufforderungen und Handlungsanweisungen, sich der unmittelbaren Nachbarschaft, der Gemeinschaft und auch der Natur und der Welt bewusst zu werden und für Frieden einzusetzen.

Der immaterielle Charakter vieler ihrer Werke setzt auf das Entstehen von imaginären Räumen beim Publikum. Das ist vielleicht eine der stärksten Eigenschaften von Onos Kunst. Doch auch ihre experimentellen Videofilme sind wichtig, gerade wenn sie bahnbrechende Performances festhalten. Das »Lightning Piece« mit der Instruktion, ein Streichholz zu entzünden und es bis zum Verlöschen zu beobachten, gehört dazu. 1966 entzündete sie eines auf Einladung von George Macunias, dem Begründer der Fluxus-Bewegung, was der Fotograf und Kameramann Peter Moore filmte, und zwar mit 2000 statt nur 24 Bildern pro Sekunde, was einen extrem langsamen Film generiert, der nun im Gropius-Bau zu sehen ist. Ebenso die »Cut Piece«-Performance, mit der sich Yoko Ono sehr früh als feministische Künstlerin bewies. Nachdem sie schon in Kyoto, Tokio und New York das Publikum aufgefordert hatte, Stücke aus ihrer Kleidung auszuschneiden, während sie stoisch auf einer Bühne saß, wurde sie 1966 in London dabei gefilmt, beim »Destruction in Art Symposium«, organisiert von Gustav Metzger.

Damit begab sie sich in die Rolle des passiven Opfers und machte das damals überwiegend männliche Publikum symbolisch zu Tätern. Es ist ein Spiel und zugleich ein Blaupausen-Test auf Sexismus, Voyeurismus und Machismo. Bei einem Reenactment mit der 70-jährigen Ono reagierte das Publikum wesentlich feinfühliger als in den 60er Jahren. Für die Künstlerin ist es allgemein »eine Form des Gebens und Nehmens«. Der partizipative Ansatz war schon lange Bestandteil ihrer Kunst, bevor dies in den 90er Jahren en vogue wurde.

Hierauf konzentriert sich auch die Neue Nationalgalerie bei ihrer »Dream together« benannten Ono-Ausstellung, während der NBK sein traditionsreiches Plakatwand-Projekt diesmal Yoko Ono widmet und ihre Aufforderung »Touch« (Berühre) in schwarzen Lettern auf weißem Fond an der Kreuzung Friedrich-, Ecke Torstraße präsentiert. Vom Falten von Kranichen aus Papier in der Origami-Tradition als Metapher für Glück und langes Leben über das Zusammenkleben zerbrochenen Geschirrs bis hin zum Schachspiel mit ausschließlich weißen Figuren ist in der Neuen Nationalgalerie das Publikum zu aktiver Gestaltung aufgefordert.

Das Spiel mit den weißen Schachfiguren erfordert höchste Konzentration, da es die visuelle Gegnerschaft verweigert. Auch das natürlich die intendierte Message von Yoko Ono: Wenn wir uns alle mit Respekt und Liebe begegneten, wäre eine Einteilung in Freund und Feind obsolet, und wir hätten die paradiesische Situation eines Weltfriedens.

Yoko Ono: »Music of the Mind«, Gropius-Bau, Berlin, bis 31.8., Katalog 48 €.
Yoko Ono: »Touch«, Neuer Berliner Kunstverein, Plakatwand bis 31.8.
Yoko Ono: »Dream Together«, Neue Nationalgalerie, Berlin, bis 14.9.

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