Almosen der Verwerter

»Neue Rundschau« zum Urheberrecht

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Piratenpartei scheint Geschichte zu sein. Wenn sie es doch noch in die Schlagzeilen schafft, dann mit Meldungen über ihren Zerfall. Doch das Thema, das die Partei vor wenigen Jahren groß machte, ist weiter virulent. Wie soll mit dem Urheberrecht im Zeitalter der digitalen Reproduzierbarkeit von Musik und Texten umgegangen werden?

Einen bunten Strauß an Meinungen zum Thema versammelt die neue Ausgabe der »Neuen Rundschau«, in der Autoren, Musiker, Anwälte und Wissenschaftler zu Wort kommen. Am Beispiel der Musikindustrie verdeutlich der Konzertveranstalter Berthold Seliger, zu welchen absurden Allianzen es im Ringen um ein neues Copyright kommen kann: »Dem medialen Mainstream gelingt es, eine Interesseneinheit zwischen Musikkonzernen und Künstlern, zwischen Verwertern und Urhebern, Marx würde sagen zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, herzustellen.«

Schaut man sich die Zahlen an, wie sich die Einnahmen im Milliardenbusiness Musik verteilen, wird offenkundig, was Seliger meint. Multinationale Konzerne streichen 72 Prozent aller Einnahmen aus Musikaufnahmen ein. Das erfolgreichste Fünftel der Künstler kommt auf immerhin noch 24 Prozent. Vier Prozent entfallen auf 80 Prozent aller ausübenden Künstler. »In der Realität«, so Seliger», sind Musiker nur Almosenempfänger, den Profit macht die Verwertungsindustrie.«

Treffender wäre es also, von einem Verwertungsrecht anstatt eines Urheberrechts zu reden. Der Rechtsanwalt und Redaktionsleiter von iRights.info, Till Kreutzer macht daher einen Geburtsfehler aus: Das Urheberrecht verweist zwar auf den Urheber, werde in den meisten Fällen aber nicht vom Urheber, sondern einem kommerziellen Verwerter, wahrgenommen. Die Urheber, die tatsächlich selbstbestimmt über ihre Rechte verfügen, seien eine kleine Minderheit.

Der französische Musiker und Künstler Kent bestätigt diese Sicht. Er verweist auf astronomische Abschlagszahlungen, garantierte Mindesteinnahmen und Teilhabe an ihrem Kapital, welches die großen Plattenfirmen gegenüber Streamingdiensten wie Spotify in Verhandlungen durchsetzen. »Von all diesen Geldern bekommen die Künstler nichts«, resümiert er. Sie würden erst gar nicht in die Verhandlungen einbezogen.

In den 34 meist kurzen Beiträgen geht es neben der Musikindustrie auch um Buchverlage, Wikipedia, akademisches Publizieren, die Novellierung des deutschen und europäischen Urheberrechts sowie um jüdische Traditionen und geistiges Eigentum. Die Meinungen gehen weit auseinander - das war Konzept der Redaktion. Sie wollte ein Potpourri an subjektiven Stimmen zusammentragen. Das ist ihnen weitestgehend gelungen. Natürlich gibt auch es Leerstellen. So wäre eine Klärung der Kategorie geistiges Eigentum und die grundlegende Frage des Zur-Ware-Werdens von Wissen und geistigen Schöpfungen interessant gewesen.

Ein Vertreter der digitalen Freibeuter ist in dem Heft übrigens nicht vertreten. So bleibt der radikalste Ansatz Till Kreutzer vorbehalten, der im »Berliner Gedankenexperiment« Verhältnisse skizziert, in denen es kein Urheberrecht gibt. Lesenswert!

»Urheberrecht, Copyright, Künstler«, Neue Rundschau, 126 Jg., 2015, Heft 4, S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 327 S., 15 Euro

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