Die höhere Anstrengung

Roger Willemsen ist tot

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 2 Min.

Wird nun einmal jemand nachzählen, wie oft Roger Willemsen mit dem Attribut »ein charmanter Plauderer« so grandios missbezeichnet wurde? Denn der Journalist, Bestsellerautor und Fernsehmann war das gerade nicht. Er selbst hätte ein solches Etikett mit dem Hinweis wieder entfernt, »nur langweilige Personen sind identisch mit ihrem Image«. Es sind Willemsens eigene Worte, vor ein paar Jahren in einem Interview gesagt. Es wird keine neuen Gespräche mit ihm geben können. Das journalistische Ausnahmetalent ist am Montag im Alter von nur 60 Jahren an Krebs gestorben.

Geboren 1955 in Bonn in einer kunstsinnigen Akademikerfamilie, nahm Willemsens Biografie zunächst einen eher gewöhnlich-bundesrepublikanischen Lauf: Gymnasium, Studium, mit einer Arbeit über Robert Musil promoviert, eine Habilitation über den Suizid in der Literatur blieb unvollendet, wurde später aber zu seinem zweiten »richtigen« Buch. Es folgten noch viele weitere.

Dass Willemsen nebenher als Nachtwächter, Museumswärter und Reiseleiter arbeitete, hat immer wieder Nachfragen an ihn ausgelöst. Wie sehr solcherlei Lohnarbeit mit seinem weiteren Leben zu tun haben würde, mag aber auch der Autor selbst erst später entdeckt haben. Seine ersten größeren Bucherfolge waren Kunst-Reiseführer. In den 1980er Jahren war Willemsen als Übersetzer und Herausgeber tätig. Dann wechselte er nach London, arbeitete als Korrespondent. Anfang der 1990er Jahre begann die TV-Karriere mit dem beim Bezahlsender Premiere ausgestrahlten Format »0137«. Es kamen Auszeichnungen, dann das ZDF. Mit »Willemsens Woche« war schließlich auch jenes Produkt geboren, das ihn einem größeren Kreis bekannt machte.

»Ich möchte die Welt nach Menschen und Geschehnissen absuchen, die mich fesseln. Entziffern will ich, Milieus studieren, Leute beobachten«, hat Willemsen einmal seine Schaffensmotivation umrissen. Da redete einer mit Straftätern, Politiker, Sternchen und einfachen Leuten einfühlsamer und persönlicher als andere. Das schärfte auch den Blick des Zuschauers. Irgendwann hatte er vom Massenfernsehen genug, blieb aber omnipräsent: Theater, Musik, Kulturbühne, Fernsehen und Bücher, Bücher, Bücher. Jedes Jahr eins, so fühlt es sich im Rückblick an.

Mit seinem letzten, einer beklemmenden Reportage über die real existierende Politik am Beispiel des Bundestags, versuchte er, »Politik unter ihren eigenen Bedingungen« zu erleben - doch dort »war sie nur noch schemenhaft zu erkennen«. »Die Demokratie benötigt eine höhere Anstrengung.« Es klang ernüchtert.

Roger Willemsen hat immer versucht, diese Anstrengung aufzubringen. Ob als Autor, als Gesprächspartner, als politisch engagierter Mensch, mit seiner Unterstützung von Hilfsprojekten, als Flüchtlingshelfer. In einer Zeit, in der das alles nicht selbstverständlich ist, wird er umso mehr fehlen.

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