Schweigen bald die Waffen in Syrien?
Kleiner Hoffnungsschimmer nach Treffen in München / Russland und die USA gründen Arbeitsgruppe für die Umsetzung der Waffenruhe / Angriffe auf Terrormilizen IS und Al Nusra gehen weiter / Moskau warnt vor »Weltkrieg«
Berlin. Nach fünf Jahren Bürgerkrieg in Syrien mit Hunderttausenden Toten sollen bald die Waffen schweigen. Darüber sind sich die USA, Russland und wichtige Regionalmächte in der Nacht zum Freitag in München einig geworden. Darüber hinaus werden Russland und die USA eine Arbeitsgruppe für die Umsetzung der Waffenruhe in Syrien bilden, bei der Diplomaten und Militärvertreter beider Seiten regelmäßig tagen. Das sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow nach den nächtlichen Syrienverhandlungen am Freitagmorgen in München.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kommentierte die mehrstündigen Gespräche in München so: »Es hat eine Verabredung heute gegeben, dass wir sofort starten mit einer - wie wir gesagt haben - signifikanten Reduzierung der Gewalt.« In einer Woche sollen dann die Kampfhandlungen zum Erliegen kommen, fasst Steinmeier das Münchner Ergebnis zusammen.
Gemeint sei aber andererseits lediglich ein Ende der Kampfhandlungen zwischen den Regimetruppen von Machthaber Baschar al-Assad auf der einen Seite und den Milizen der Opposition auf der anderen Seite. Ausgenommen seien aber Angriffe auf die Terrormiliz Islamischer Staat, erklärte er. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte nach den nächtlichen Verhandlungen am Freitagmorgen in München der Agentur Interfax zufolge, die Waffenruhe, die innerhalb einer Woche beginnen soll, gelte nicht im Kampf gegen den IS und die Al-Nusra-Front.
US-Außenminister John Kerry äußerte sich zurückhaltend über das Ergebnis der Konferenz: »Die eigentliche Bewährungsprobe wird sein, ob sich alle Mitglieder der Gruppe in der Realität an die Verpflichtungen halten.« Sein russischer Kollege Sergej Lawrow sagte zur angestrebten Feuerpause: »Das ist eine komplizierte Aufgabe. Es gibt zu viele Kräfte, die an militärischen Aktivitäten beteiligt sind.«
Ein Vertreter des Hohen Verhandlungskomitees der Regimegegner (HNC) sagte in München: »Wir müssen sehen, dass tatsächlich etwas passiert. Wenn etwas passiert und wenn die Vereinbarungen umgesetzt werden, dann werden wir uns sehr bald in Genf sehen«. Die Friedensgespräche dort waren nach wenigen Tagen unterbrochen worden.
Eine Feuerpause und humanitäre Hilfe für Städte in Syrien verlange aber auch, so die Organisation Medico International, »dass die Türkei endlich die Grenze für Nothilfe nach Kobane und Rojava öffnet«.
Zuletzt hatte sich der Konflikt nochmals verschärft: Westliche Länder warfen Russland vor, mit Bombardements in Syrien Zivilisten zu treffen und das Regime von Assad zu stützen. Seit Tagen hatte es massive Kämpfe um die Stadt Aleppo gegeben. Auch die USA bomben in Syrien, vor allem um den IS zurückzudrängen. Der zentrale Streitpunkt, ob Assad künftig noch eine Rolle in Syrien spielen soll, sei nicht beigelegt, erklärten Kerry und Lawrow. Aus US-Sicht muss der Machthaber abtreten, die Russen halten an ihm fest.
Die sogenannte Syrien-Unterstützergruppe, zu der auch die wichtigen Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien gehören, verständigte sich in München darauf, dass es schnelle humanitäre Hilfe für belagerte Orte geben müsse. Kerry sagte: »Alle waren sich über die Dringlichkeit humanitärer Hilfe einig.« Eine neue Task Force bei den Vereinten Nationen in Genf soll sich laut Steinmeier ausschließlich um den Zugang für humanitäre Transporte kümmern.
Im dem seit fast fünf Jahren tobenden Bürgerkrieg gab es bislang nur geografisch sehr begrenzte Feuerpausen in einigen Dörfern, aber keine Waffenruhe im ganzen Land. Mehr als 250.000 Menschen wurden in dem brutalen Konflikt schon getötet, Millionen in die Flucht geschlagen. Viele Gebiete sind derzeit von jeder Versorgung abgeschnitten.
Steinmeier sprach insgesamt von »Zwischenzielen«, die man schaffen müsse, damit hoffentlich »in absehbarer Zeit« die politischen Gespräche zwischen Regime und Opposition in Genf fortgesetzt werden könnten. Er betonte: »Wir kennen die Erfahrungen der Vergangenheit, deshalb spreche ich heute nicht von einem Durchbruch. Ob das ein Durchbruch war, wird sich in den nächsten Tagen beweisen müssen.« Er sei aber froh, dass man in München nun derart weit gekommen sei.
Die Friedensverhandlungen zwischen den syrischen Konfliktparteien in Genf waren vor einer Woche nach nur wenigen Tagen abgebrochen worden. Auslöser waren die massiven Angriffe des syrischen Regimes und der russischen Luftwaffe in der Region Aleppo. Die Kämpfe und Bombardements trieben Zehntausende Bewohner zur Flucht in Richtung Türkei. Trotz internationaler Appelle verweigert die Türkei ihnen an der Grenze aber bislang die Einreise.
Noch vor den Münchner Syrien-Verhandlungen hatte der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew vor einem »Weltkrieg« im Falle der Entsendung westlicher oder arabischer Bodentruppen nach Syrien gewarnt. Bodentruppen würden den Krieg in Syrien nur auf unabsehbare Zeit verlängern, sagte er dem »Handelsblatt«. Auch angesichts der vielen verschiedenen Kriegsparteien in Syrien sprach sich Medwedew für Verhandlungen als alleinige Möglichkeit zur Beendigung des Konflikts aus. Und verband das mit einer scharfen Warnung: »Alle Seiten müssten gezwungen werden, am Verhandlungstisch Platz zu nehmen, anstatt einen neuen Weltkrieg auszulösen.«
Die Bemühungen um ein Ende des Bürgerkriegs in Syrien stehen ab Freitag auch im Mittelpunkt der Münchner Sicherheitskonferenz. Bis Sonntag beraten noch mehr als 30 Staats- und Regierungschefs sowie etwa 60 Außen- und Verteidigungsminister über diesen und andere Krisenherde.Agenturen/nd
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