Student mit Daseinsberechtigung
Politik, Unis und Stiftungen bereiten sich auf studierwillige Flüchtlinge vor
Es gibt nicht einmal eine englische Anleitung zum Einstellen des WiFi«, beschwert sich Ashkan Khorasani, der im Wintersemester als Gasthörer an der Humboldt Universität (HU) einen speziellen Kurs für Flüchtlinge besucht hat. »Man muss ständig um Hilfe bitten.« Das Uni-Leben sei nach eine Art Geheimcode organisiert, einem »passiven Wissen«, das Ausländer nicht hätten, das aber von der Universität verlangt werde. »Man fühlt sich ständig so, als würde man alles falsch machen.«
Khorasani ist 2010 aus Iran nach Deutschland gekommen, zwei Jahre später wurde ihm eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt, im Januar 2016 eine unbefristete. Seit vier Jahren kämpft er mit anderen Flüchtlingen für ein »Recht auf Bildung« für Menschen auf der Flucht. Die derzeitige Rechtslage ist kompliziert, über die Integration von Flüchtlingen ins deutsche Bildungssystem fast nichts bekannt.
Andrä Wolter, Leiter des Instituts für Erziehungswissenschaften der HU, unterscheidet drei Gruppen der Migration ins deutsche Hochschulsystem. Zum einen Personen mit Migrationshintergrund, Deutsche oder Ausländer, die ihre Zugangsberechtigung über den deutschen Schulweg erhalten haben; internationale Studierende, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erhielten, die mit der Zuwanderung eine Perspektive auf dem hiesigen Arbeitsmarkt sehen; und Personen der Konflikt- oder Gewaltmigration. In amtlichen Statistiken werden diese Flüchtlinge nicht gesondert erfasst, sondern unter »internationale Hochschulberechtigung« vermerkt. Seit der Bologna-Reform vor 17 Jahren werden zwischen fünf und acht Prozent der Studienplätze bei Fächern mit Zulassungsbeschränkung für Ausländer reserviert. Da Geflohene formell in dieser Kategorie ihr Studium antreten, konkurrieren sie mit Studenten aus der ganzen Welt um die wenigen Plätze für internationale Studierende in Deutschland.
Wolter schätzt, dass derzeit zwischen 12 und 15 Prozent der Geflohenen eine Hochschulzugangsberechtigung besitzen; die letzten Daten stammen von vor 2014 und weisen einen Anteil von bis zu 20 Prozent aus. Hochgerechnet könnten also aktuell bis zu 200 000 Flüchtlinge an die deutschen Hochschulen wollen. Auch wenn es letztlich viel weniger sein werden, muss man sich doch darauf vorbereiten, auf Bundes-, Landes- und Universitätsebene.
Im September hat der Bund jährlich 2500 Studienkollegplätze versprochen; anerkannte Flüchtlinge erhalten seit Januar ohne Wartezeit Bafög, geduldete Personen müssen nur noch 15 Monate statt wie bisher vier Jahre darauf warten. Alles Weitere müssen die Bundesländer regeln - und bezahlen.
Dort sind die Zugangsregeln zu den Universitäten jedoch unterschiedlich, die meisten bieten nur eine kostenlose Gasthörerschaft an, die allerdings nicht als Studienleistung anerkannt wird. Immatrikuliert wird man auch nicht, was viele Flüchtlinge frustriert, da so keine der erbrachten Leistungen angerechnet wird. Andererseits würden sie, wären sie eingeschrieben, alle Asylleistungen verlieren.
Anerkannte und geduldete Flüchtlinge können auch Stipendien bekommen. Derzeit überlegen sich verschieden Stiftungen, wie sie dem betreffenden Personenkreis Angebote machen können. Katrin Schäfgen, Direktorin des Studienwerks der der Linkspartei nahe stehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS), befürchtet allerdings, dass Flüchtlinge mit anderen unterprivilegierten Gruppen um die Stipendien konkurrieren. Im März wird die RLS deshalb einen Antrag auf ein »Sonderprogramm Förderung Geflüchteter« beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellen. »Letztlich müssen aber die Studienplätzen ausgebaut und die Quoten für internationale Studierende bei zulassungsbeschränkten Fächern angepasst werden, um den Verdrängungswettbewerb zu unterbinden«, fordert Schäfgen.
Die Hans-Böckler-Stiftung fordert vom BMBF vor allem, die 15 Monate Wartezeit auf Bafög-Förderung für den Kreis der geduldeten Asylbewerber weiter zu verringern. »Das Schlimmste ist, Leute in ein Heim zu stecken und warten zu lassen. Das führt zu Enttäuschungen und Konflikten«, so der Geschäftsführer der gewerkschaftsnahen Stiftung, Wolfgang Jäger. Erfahrungen mit Migranten hat die Stiftung seit Längerem: In ihrer Förderlinie »Böckler-Aktion Bildung« hat die Stiftung in den vergangenen Jahren 73 Prozent der Stipendien an Menschen mit Migrationshintergrund vergeben. Letztlich geht es um mehr als das reine Studium: Es ist die »ideelle Förderung«, so Jäger, die eine erfolgreiche Integration ermöglicht. Und Stiftungen seien dazu besonders geeignet. Jäger erwartet allerdings eine Zeitverzögerung bei der Aufnahme eines Studiums durch Flüchtlinge. Oft würden erst die Nachkommen studieren.
Neben der Finanzierung sind es oftmals administrative Hürden, die es erschweren, das Studium sofort anzufangen oder fortzusetzen. Vor allem fehlen vielen Flüchtlingen die Nachweise, zugangsberechtigt an Hochschulen zu sein. Die Hochschulrektorenkonferenz einigte sich deshalb im Dezember 2015 darauf, ein Verfahren zu entwickeln, um die Eignung zum Studium angemessen zu prüfen. In Interviews wollen die Universitäten versuchen, die Bildungsbiografie der Studieninteressierten zu rekonstruieren, mittels Tests sollen die Qualifikationen geprüft werden. Jede Universität muss jedoch die Bewerber selbst prüfen - den Flüchtlingen droht eine Odyssee an Bildungsnachweisprüfungen, wollen sie sich bei mehreren Universitäten bewerben.
Auch fehlende Deutschkenntnisse stellen eine große Hürde zu einem Studium. Die Behörden bieten zwar Sprachkurse an, allerdings nur bis auf B II Niveau. Für die Aufnahme eines Bachelorstudiums, die es, anders als Masterprogramme, nur auf Deutsch gibt, bedarf es aber eines C I Niveaus. In den Studienkollegs sollen Studienwillige das Niveau erreichen, jedoch setzen diese B I Niveau voraus. Um von B II auf B I Niveau zu kommen, gibt es keine staatlichen Programme. Zwar bietet der Europäische Sozialfonds solche Kurse an, allerdings nur an Interessierte, deren Ziel eine Integration in den Arbeitsmarkt ist - Studieninteressierte werden nicht zugelassen.
Nader Talebi und Firoozeh Farvardin unterrichteten im Wintersemester einen Kurs für Flüchtlinge an der HU. Das Thema »Räume und Migration« greift diese Unsicherheit auf, im fremden Land alles falsch zu machen. Die Teilnehmer - etwa die Hälfte sind Flüchtlinge, die andere ausländische Studenten, aber auch drei Deutsche sind dabei - tauschen sich darüber aus, was sie nicht verstehen. Auch wenn es für den Kurs keine Credits für Gasthörer gibt, führt er die Flüchtlinge doch an die Universität heran. Denn »die Frage nach dem Recht auf Bildung für Flüchtlinge ist zentral«, so Talebi.
Khorasani sagt von sich, großes Glück zu haben. Zum Sommersemester kann er an einem Studiumkolleg eine Studienvorbereitung beginnen, sein Ziel ist es, nächstes Jahr ein reguläres Studium anzufangen. Den Kurs als Gasthörer sieht er trotzdem als Bereicherung: Zwar sei es keine Weiterbildung, obwohl die Universität ihn als solche verkaufe, aber er helfe, gemeinsam ein Verständnis um das »passive Wissen« an Universitäten zu entwickeln, mit dem man sich als »Student mit Daseinsberechtigung fühlen kann«.
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