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Kontinente verlieren Wasser ans Meer
Forschende haben den Rückgang von Süßwasser seit dem Jahr 2000 berechnet
Die Süßwasservorräte in Flüssen, Seen und im Grundwasser nehmen weltweit ab. Das ist das Ergebnis einer umfangreichen Studie, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Südkorea, China, Hongkong, Australien und den USA kürzlich im Fachblatt »Science« vorgelegt haben. Demnach ist das an Land gespeicherte Wasser zwischen dem Jahr 2000 und 2016 um 2600 Milliarden Tonnen zurückgegangen. Das entspricht einem Wasserwürfel mit einer Kantenlänge von nicht ganz 14 Kilometern oder mehr als dem 50-Fachen des Inhalts des Bodensees. Besonders bemerkenswert: Etwas mehr als zwei Drittel des Rückgangs erfolgten allein in den Jahren 2000 bis 2002, also sehr sprunghaft.
Das zu ermitteln, war nicht ganz einfach. Während sich der Wasserstand in den Meeren vergleichsweise leicht aus Informationen über die Topografie der Becken und der Höhe des Meeresspiegels ermitteln lässt und sich der Wasserdampfgehalt der Atmosphäre aus den Wetterbeobachtungen ergibt, sind die verschiedenen Süßwasserreservoirs deutlich unübersichtlicher. Allerdings sind moderne Wettervorhersage-Modelle auch hierfür eine gute Hilfe, wie die neue Studie zeigt. Neben dem Niederschlag können sie auch den Abfluss in den Flüssen und den Wasserhaushalt der Böden sowie Verdunstung und Transpiration durch Pflanzen simulieren. Mittels älterer Wetterdaten kann so auch der Wasserhaushalt der Kontinente in vergangenen Jahrzehnten nachträglich ermittelt werden.
Das Verfahren wird Reanalyse genannt, was man als ein komplexes Extrapolationsverfahren bezeichnen könnte. Die Messdaten werden dabei auf ein mehr oder weniger enges dreidimensionales Gitternetz umgerechnet, womit der Zustand der Atmosphäre und der Erdoberfläche zu einem gegebenen Zeitpunkt beschrieben wird. Derlei erzeugte Datensätze kommen überall zur Anwendung, wo man Aussagen über längere Zeiträume benötigt, zum Beispiel eben, wenn Auskünfte über den globalen Wasserhaushalt benötigt werden.
Mehr als zwei Drittel des Rückgangs erfolgten von 2000 bis 2002.
Die Autorinnen und Autoren der vorliegenden Studie haben also einen solchen Reanalyse-Datensatz des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) zurate gezogen. Das ECMWF betreibt seit 1975 im britischen Reading im Auftrag seiner 23 Mitgliedstaaten aus West-, Süd- und Südosteuropa umfangreiche Wettervorhersage-Modelle und begleitende Forschung.
Der kontinentale Wasserhaushalt, der sich aus diesen Daten ergibt, zeigt zum einen die starke Abnahme in den Jahren 2000 bis 2002 – und in den nachfolgenden Jahren bis 2021 weiteren Wasserverlust. Betroffen sind vor allem das Kongobecken, der Südwesten Brasiliens sowie angrenzende Regionen in Paraguay und Argentinien, Teile der USA, ein Streifen vom Balkan bis ins westliche Zentralasien und eine große Region im Nordosten Chinas sowie den benachbarten Gebieten Russlands.
Verschiedene Datensätze ganz anderer Art bestätigen diese Beobachtungen unabhängig von den Ergebnissen der Wettermodelle. So haben die Autorinnen und Autoren auch die Daten über den Anstieg des Meeresspiegels herangezogen und von diesen die bekannten Komponenten abgezogen, etwa den Eisverlust auf Grönland und in der Antarktis oder die Ausdehnung des Meerwassers durch Erwärmung. Heraus kam, dass der Meeresspiegel in der fraglichen Zeit tatsächlich in dem Maße anstieg, wie die aus den ECMWF-Daten abgeleitete kontinentale Wasserbilanz erwarten ließ.
Auch die Daten der Polbewegung, die von den Autoren zusätzlich herangezogen wurden und ihnen bis 2016 vorlagen, bestätigen Ausmaße und Verteilung des Wasserverlusts auf den Kontinenten. Die Umverteilung von Massen führt nämlich auch zu leichten Veränderungen der Lage der Rotationsachse unseres Planeten, vor allem wenn diese ungleichmäßig erfolgt. So hat sich die Achse zwischen 2005 und 2014 durch den zu dieser Zeit in Teilen Eurasiens besonders ausgeprägten Grundwasserverlust um etwa 45 Zentimeter in Richtung des 90. östlichen Meridians verschoben, der durch Westsibirien verläuft.
Derartige Verschiebungen sind allerdings nicht unbedingt ungewöhnlich. Größere Sorgen sollte machen, dass der Süßwasserverlust auf den Kontinenten allem Anschein nach eine Folge der Klimaveränderungen ist und anhält.
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