Sicherheit für sexuelle Minderheiten

Berlins erste Unterkunft für schwule und lesbische Flüchtlinge in Treptow erwartet am Dienstag erste Bewohner

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Homo- und transsexuelle Geflüchtete werden häufig in Heimen angefeindet. 124 von ihnen ziehen nun in die erste Unterkunft der Stadt, die ihnen Schutz vor Anfeindungen bieten soll.

»Das ist ein sehr guter Tag für die Regenbogenstadt Berlin«, sagt Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) und strahlt. Vor wenigen Minuten ist ihr Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin, zur Begrüßung um den Hals gefallen. Allgemein ist die Stimmung unter den vielen Gästen in dem fast fertigen Neubau an diesem verregneten Samstag sehr gelöst. Das Haus ist die erste Berliner Unterkunft speziell für lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle (LSBTI) Flüchtlinge. »Zwangsverheiratung, Gewalt oder Ehrenmorde drohte diesen Flüchtlingen in ihren Herkunftsländern«, sagt Kolat. »Wenn die Menschen hier ankommen, möchte Berlin ihnen Sicherheit geben.«

In den regulären Flüchtlingsunterkünften sind LSBTI häufig auch nicht sicher. Die Erfahrungen reichen von Beleidigungen über Rempeleien bis hin zu massiven physischen Übergriffen und Vergewaltigungen. Zu den Angreifern gehören andere Flüchtlinge, aber auch Wachpersonal, wie der Lesben- und Schwulenverband (LSDV) berichtet. Die betreuenden Sozialarbeiter haben häufig keine spezifischen Kenntnisse oder sind überfordert. Einrichtungen wie die Schwulenberatung, MILES oder LesMigraS kämpfen seit Langem für eine gesonderte Unterbringung. Auf die landesparlamentarische Ebene wurde die Forderung von den queerpolitischen Sprechern von LINKEN und Grünen, Carsten Schatz und Anja Kofbinger, im Januar 2015 mit einem gemeinsamen Antrag gehoben. Die rot-schwarze Abgeordnetenhausmehrheit verweigerte sich nicht, so dass im Juni das Parlament den Auftrag erteilte.

»Es ist sehr schön zu erleben, dass aus unserer politischen Initiative etwas geworden ist«, freut sich Kofbinger. »Und das schon nach anderthalb Jahren - das ist Lichtgeschwindigkeit für die Berliner Verwaltung.« Das sei vor allem dem Engagement der Schwulenberatung zu verdanken, aber auch dem breiten politischen Konsens. »Nicht mal die CDU hat gebremst«, sagt sie. Allerdings sucht man den eigentlich zuständigen CDU-Sozialsenator Mario Czaja vergebens bei der Eröffnung.

»Ursprünglich hatten wir dezentrale Wohnungen zur Unterbringung geplant, das war aber nicht gewünscht«, berichtet Stephan Jäkel von der Schwulenberatung. Schließlich machte das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) auf das Haus in Treptow aufmerksam. »Ich habe das Haus dem Amt angeboten, wollte aber nicht, dass irgendeine Einrichtung einzieht«, sagt der Dessauer Architekt und Bauherr Hendrik Gaudl. Eigentlich wollte er in dem Wohn- und Bürohaus eine Berliner Filiale einrichten, doch die Aufträge gingen zurück. Nun dienen die dafür vorgesehenen Räume als Gemeinschaftsflächen und Speisesaal.

124 LSBTI-Flüchtlinge sollen in den Wohnungen untergebracht werden. Viel Platz haben sie nicht, vier Menschen müssen sich 30 Quadratmeter teilen, die größeren Wohnungen werden je sechs Geflüchtete beherbergen. Die Räume sind zweckmäßig mit günstiger Selbstaufbauware eingerichtet. Bereits am Dienstag ziehen die ersten Bewohner ein, zunächst Schwule und Transsexuelle. Lesben sind noch nicht angekündigt, was auch daran liegt, dass der Frauenanteil unter den Geflüchteten recht gering ist.

Auch das Rathaus Friedenau wird eine Unterkunft für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, nicht nur für LSBTI, sondern auch für Familien und Frauen. Hier hat sich die gemischte Unterbringung allerdings zunächst als Fiasko erwiesen. Die Familien weigerten sich, einzuziehen, als sie erfuhren, dass bereits sieben Klienten des Lesben- und Schwulenverbandes dort wohnen, berichtet Kofbinger. »Das kann man nicht mal kurz in einem Gespräch klären«, sagt sie.

Grundsätzlich wäre es natürlich besser, wenn analog zum Gewaltschutzgesetz Aggressoren die Unterkünfte verlassen müssten, praktisch scheint das momentan aber nicht umsetzbar, zumal es sich in den meisten Fällen vor allem um verbale Feindseligkeiten handelt. »Wir können den Opfern doch nicht sagen, dass sie das aus politischen Gründen ertragen sollen«, sagt Kofbinger. Und wohin sollten die Homo- und Transphoben gehen, fragt sie weiter. »In ein Heim für gewalttätige Flüchtlinge?«

Fünf bis zehn Prozent der Menschen sind LSBTI, also auch mehrere tausend Geflüchtete in Berlin. Die Treptower Unterkunft ist ein guter Schritt, aber nur der erste von vielen.

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