PR-Offensive: TTIP schön reden
Geheimdokument: EU-Kommission will Kritiker des Freihandelsabkommens gezielt und »maßgeschneidert« überzeugen
Wenn die Berufspolitik hinter verschlossenen Türen Entscheidungen trifft, wer würde da nicht mal gerne Mäuschen spielen? Ein internes Verschlusssacheprotokoll, das »nd« vorliegt, erlaubt es, neun Seiten lang in die Rolle des heimlichen Beobachters zu schlüpfen: Der »Kabelbericht« informiert Kanzleramt, Ministerien und Botschaften über ein Treffen der EU-Ratsarbeitsgruppe »Transatlantische Beziehungen« (COTRA) aus Brüssel. Auf der Tagesordnung vom 2. Februar 2016 steht TTIP. Vertreter der EU-Kommission, die mit den USA seit 2013 um Zölle, öffentliche Auftragsvergabe, Dienstleistungen, Verbraucherschutz, Abstimmung bei Gesetzesvorhaben und Schiedsgerichte verhandeln, treffen auf Vertreter der 28 EU-Mitgliedsstaaten. »KOM (TRADE) unterrichtete über den Stand der Dinge vor der 12. Verhandlungsrunde zu TTIP«, protokolliert Cornelius Huppertz, Beamter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Brüssel.
»KOM (TRADE)« steht für die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Die Schwedin führt eins der mächtigsten Ressorts in Brüssel. Als Flüchtlingskommissarin rüstete sie die Grenzschutzagentur Frontex hoch, sie gilt als Architektin der »Festung Europa«. Später peitschte sie das SWIFT-Abkommen durch, das die Weitergabe privater Bankdaten an die USA vorsah und sträubte sich gegen die Aufklärung der NSA-Spionage. Jetzt ist es die zunehmende Kritik am Freihandelsabkommen TTIP, die der EU-Regierung Sorgen macht. »Eine erfolgreiche 12. Verhandlungsrunde sei entscheidend dafür, um TTIP noch im Jahr 2016 abschließen zu können«, meldet die Depesche »steigenden politischen Druck«.
Beim Treffen vertritt Renita Bhaskar ihre Chefin. Die Koordinatorin für Handel mit den USA stellt die »Kommunikationsstrategie bzgl. TTIP« vor. Die TTIP-Debatte sei »so lautstark geworden, dass sie nunmehr auch die Gestaltung der Handelspolitik beeinflusse«. Die öffentliche Diskussion müsse analysiert werden, um »hierauf eine Kommunikationsstrategie aufzubauen«, erklärt Lutz Güllner, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit. Mit Hilfe externer Experten seien die Pro-Argumente analysiert worden: TTIP helfe der Wirtschaft, bringe Vorteile für den Verbraucher und stärke EU-Standards. Ersteres sei »von der Mehrheit der Bürger generell akzeptiert«, doch gebe es »immer wieder den Unterton, dass TTIP nur den großen multilateralen Konzernen helfe«.
Botschaft zwei und drei aber stießen »auf wenig Akzeptanz«. Die Bürger sorgten sich nicht nur um Preise und Qualität, sie hätten auch das Gefühl, die EU habe »eine schwache Verhandlungsposition«, wird die Kommission zitiert. In Deutschland, Österreich, Luxemburg und Schweden stehe »die Mehrheit der Bevölkerung TTIP nunmehr skeptisch gegenüber«. In einer Emnid-Umfrage für »Bild« meinten 41 Prozent, TTIP sei »eher eine schlechte Sache« für Deutschland.
Eine »zentrale Kommunikationsstrategie« aus Brüssel könne es nicht geben, sie müsse auf jeden Staat »maßgeschneidert« sein. Bis zum Ende der Verhandlungen müssten die Regierungen »dafür Sorge tragen, dass Tatsachen berichtet werden« und »nicht das Material der Kritiker reproduziert wird«. In der »politischen Kommunikation« gelte es, mehr »hochrangiges Personal im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, öffentliche Auftritte, Medienpräsenz« aufzufahren. Auch steht die »direkte Ansprache von kritischen Gruppen«, »z.B. Gewerkschaften«, oben auf dem Schlachtplan.
Besonders wichtig, »Erfolgsgeschichten erzählen: anschauliche Beispiele sammeln und verbreiten, aus denen deutlich wird, wie Freihandel die Gesellschaft positiv geprägt hat«. Überhaupt müssten Brüssel und Mitgliedsstaaten »deutlich machen, dass sie an einem Strang ziehen«. Die Hausaufgaben der nächsten Wochen: »die Kommunikationsanstrengungen zu TTIP weiter zu verstärken, Vorurteile zu entkräften und Falschbehauptungen anzugehen.« Die Depesche zitiert wörtlich: »If the Commission is alone, it is unwinnable.«
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