Vertreibung aus dem Paradies

Ein Episodenfilm über Kindheit und Jugend in der DDR: »Als wir die Zukunft waren«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Das schönste Herbeirufen von Kindheitstagen findet sich immer noch in Hermann Bangs »Das weiße Haus«. Da ist etwas lange vorbei und doch Ursprung in seiner gegenwärtigsten Form. Das heißt nichts anderes als: Hier entspringt Neues, wird der immer gleiche Traum weitergeträumt.

Aber doch nicht bruchlos, nicht unbeschädigt. Keine Süße ohne Bitternis! Da waren sich die sieben Regisseure von »Als wir die Zukunft waren«, alle zwischen Mitte der 40er und Anfang der 50er Jahre im Osten geboren, unbedingt einig. Bei einem Uckermärcker Ost-West-Filmemacherstammtisch kam die Idee, jeweils in zehn bis zwölf Minuten eine prägende Geschichte zu erzählen. Eine Momentaufnahme des eigenen Herkommens aus einem versunkenen Land - und Nachdenken über jenes Paradies Kindheit, aus dem, nach Ernst Bloch, niemand vertrieben werden kann. Es sind sieben Geschichten über das Erwachsenwerden in einen Land, wo man die Last der Geschichte früh auf den Schultern spürte.

Die Besonderheit dieser DDR war: Sie lebte immer in Erwartung auf eine Zukunft, die besser sein sollte als die mangelhafte Gegenwart. Daran glaubte man, so lange man konnte, das war intensivste Form von Heimat. Man hatte hier tatsächlich einen Auftrag, eine Mission gar - aber wehe, wenn einen der Glaube verließ! Die sieben Geschichten handeln von einer Hoffnung, die enttäuscht werden musste.

Es ist auch für gestandene Regisseure wie Peter Kahane (»Ete und Ali«, »Die Architekten«) nicht einfach, eine kurze Episode aus dem eigenen Leben zu verfilmen. Kahane (geboren 1949 in Prag) kommt aus einer jüdischen Emigrantenfamilie. Die Eltern kehrten nach Kriegsende zurück nach Berlin. Im Ostteil der Stadt wuchs er auf, ging am liebsten ins Kino. Im Osten liefen die sowjetischen Reiterarmeefilme. Am Wochenende fuhr er nach Westberlin, da gehörte dem Onkel ein Kino, in dem auch Reiterfilme liefen. Nur hießen die hier anders: Western. Rückblickend lässt Kahane das Kind, das er einmal war, fragen, ob sich denn die Reiter aus dem Osten mit denen aus dem Westen verstanden hätten. Seine Antwort: »Ich glaube nicht.«

Wie setzt man seine eigene Kindheit ins Bild? Glücklich ist, wer einige 8-Millimeter-Schmalfilmsequenzen verwenden kann, die die Eltern hinterlassen haben. Kahane ist nicht der einzige, der versucht, über die Brücke des Trickfilms zum anderen, dem frühen Ich zu kommen. Doch merkwürdig, bei diesen Sequenzen stellt sich dann beim Zuschauen mitunter ein unangenehmes Gefühl ein. Man hätte es wissen können: Beim Drahtseilakt, eine prägnante Episode aus dem eigenen Leben zu erzählen, ist der Animationsfilm die Windböe, die ins Stolpern bringt.

Thomas Knauf (geboren 1951 in Halle) fing als Regieassistent bei Istvan Szabo an, als dieser »Mephisto« drehte, ging weite Wege (in New York moderierte er für einen Kabelsender ein Kinomagazin), kehrte dann zurück und porträtierte 2014 in einem Film den Schauspieler Jürgen Holtz. Er erzählt in seiner Episode von sich als Jugendlichem, der 1968 nach Warschau fährt, weil dort die Rolling Stones spielen. In einem Kino sieht er einen dreistündigen Film über Mao. In dem Kino sitzen außer ihm nur zwei linke Westberliner Studenten. Es ist der Tag, an dem in Prag die Panzer rollen und der Prager Frühling endet. Er versteht davon wenig, aber mit den beiden West-Studenten legt er, als Zeichen der Trauer, weiße Chrysanthemen vor der tschechischen Botschaft nieder. Sie werden verhaftet. Die beiden West-Studenten lachen, Thomas Knauf aber ist nicht zum Lachen zumute. Innerhalb von 24 Stunden muss er Polen verlassen. Aber er hat Glück, die Polen melden den Fall nicht weiter. Immer noch klingt die Erleichterung darüber mit, nach fast fünfzig Jahren.

Welcher Art die Bedrückungen und Befreiungen sind, die wir durchleben, entscheidet, was wir für Menschen werden - dieser rote Faden zieht sich durch alle sieben Episoden. Natürlich kommen Westpakete vor - aber für Lars Barthel verbindet sich damit eine besonders unglückliche Erinnerung. Seine Mutter, die schnöden Konsum verachtete, schickte das einzige Paket, das sie je erreichte, mit stolzer Geste an die Westverwandten zurück. Ihr Sohn konnte es nicht fassen: Er hatte den Duft von Kaffee und Schokolade schon in der Nase - und dann entschwand er wieder.

Es sind lauter Erinnerungspartikel, die sich nicht zu einem ganzen Bild fügen wollen, sondern bewusst Leerstellen lassen. Hannes Schönemann (geboren 1946 in Lübz), aufgewachsen in Rostock, ein passionierter Meeresfilmer, erzählt (wie auch Ralf Marschalleck aus Weimar in seiner Episode) die Geschichte, wie er seinen Vater an den Westen verlor. Seine Mutter, die von der Republikflucht ihres Mannes gewusst haben soll, kam zur »Bewährung« in die Produktion und wurde schwer krank - die Kinder mussten in Kinderheime. Als er eines Tages ins Krankenhaus kam, die Mutter zu besuchen, war sie zwei Stunden zuvor gestorben. Nun war er allein, mit seiner Wut, seinen Träumen und dem Meer.

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