Die Banlieue pavillonaire

Sebastian Chwala über Geschichte, Programm und Politik des Front National

  • Rudolf Walther
  • Lesedauer: 3 Min.

Der rechtspopulistische Front National (FN) ist zu einem beliebten Gegenstand der Feuilletonsoziologie geworden, das seine Urteile als wissenschaftlich gesichert anbietet (»Der FN - die stärkste Arbeiterpartei«), aber tatsächlich nur biedere Ansichten ohne empirische Basis verbreitet. Dahingegen offeriert die Studie des Marburger Politikwissenschaftlers Sebastian Chwala fundierte politische Aufklärung und solide begründete Einschätzungen.


Sebastian Chwala: Der Front National. Geschichte, Programm, Politik und Wähler.
PapyRossa. 143 S., br., 12,90 €.


Die anfänglichen 25 bis 30 Prozent Stimmen für den FN verdankten sich der geringen Wahlbeteiligung der Franzosen. Im zweiten Wahlgang stieg sie von 50 auf 59 Prozent. Dadurch und durch den Rückzug der Sozialisten in drei Regionen erreichte der FN letztlich in keiner der 13 Regionen eine Mehrheit.

Chwala analysiert jedoch nicht nur jüngste Wahlergebnisse, sondern bietet eine kurze Geschichte der Ultrarechten in Frankreich in der Dritten Republik (seit 1875) und in der Vierten Republik (1945-1962), gefolgt von einer Geschichte des FN seit 1972. Während die Rechte vor dem Ersten Weltkrieg gekennzeichnet war von Antisemitismus, Antiliberalismus und Nationalismus und vor allem das Kleinbürgertum und Teile der Mittelschichten für sich mobilisierte, bestimmten Politik und Ideologie der Rechten nach dem Zweiten Weltkrieg der Antikommunismus und die Kolonialfrage im Zeichen der Kriege in Indochina, Madagaskar und Algerien.

Der FN von Jean-Marie Le Pen wurde am 5. Oktober 1972 gegründet und profilierte sich als »nationale, soziale und volksnahe Rechte« gegenüber politisch marginalen, neofaschistischen Gruppierungen. Le Pen verstand seine Partei als »weder rechts, noch links, sondern national« und vertrat mit der Parole »Frankreich zuerst« (»d’abord la France«) ökonomisch einen nationalen Protektionismus und politisch einen chauvinistisch begründeten Nationalismus. Parteiinterne Strömungen von Bruno Mégret und Yves Le Gallou, die den FN koalitionsfähig machen wollten mit den bürgerlichen Konservativen, wurden aus der Partei ausgeschlossen. 2011 löste Marine Le Pen ihren Vater an der Parteispitze ab. Entgegen dem journalistischen Vorurteil besteht die Wählbasis des FN nicht aus Arbeitern, Arbeitslosen und sozial Abgehängten, sondern zu 71 Prozent aus Menschen, die sich zur Mittelschicht zählen. Arbeiter, sozial Abgehängte und Arbeitslose bilden das wachsende Reservoir der Nichtwähler - besonders in den entindustrialisierten Zentren im Norden des Landes. Die Masse der FN-Wähler wohnt nicht in Großstädten, sondern in Vor- und Kleinstädten, in Gegenden, die Banlieue pavillonaire (Reihenhaus-Banlieue) heißen.

Diese öden Siedlungen entstanden dank der staatlichen Wohnbauförderung, Kredit- und Steuerpolitik. Präsident Valéry Giscard d’Estaing (1974 -1981) richtete extra einen »Nationalen Rat zur Ermöglichung des Aufstiegs zum Eigentum« ein, um diese Bevölkerungsgruppe zu fördern. Sie zeichnet sich aus durch Angst vor sozialer Deklassierung und Distanzierung von Armen, Arbeitslosen und Fremden. Dieses mittlere und untere Kleinbürgertum aus einem Viertel Arbeitern und drei Vierteln Angestellten und Handwerkern, die sich alle einig wissen im Bedürfnis nach Abgrenzung von Armen und Einwanderern und nach »Schutz vor der Globalisierung«, stellen 91 Prozent der FN-Wählerschaft. - Ein nützliches Buch zur Orientierung im politischen Handgemenge.

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