Wilhelmstraße: Bagger rücken an
Wohnblock muss Luxusbau weichen / Auch neben dem Holocaust-Mahnmal wird gebaut
Die Abrissvorbereitungen am Wohnblock Wilhelmstraße 56-59 in Mitte sind nicht mehr zu übersehen. An der Fassade werben Tiefbauunternehmen für ihre Dienste, im Innern ist die Entkernung bereits im Gange. Im April soll der Abriss beginnen. «Uns fehlt nur noch die Genehmigung von der Verkehrslenkung für die Baustelleneinrichtung und die neue Ampelregelung an der Ecke Französische Straße, dann kann es los gehen», sagt Zolt Farkas, Generalbevollmächtigter der österreichischen Eigentümerfamilie. Dann muss der 25 Jahre alte Plattenbau aus der Endzeit der DDR einem luxuriösen «Palais Berlin» weichen.
Die Mieter der etwa 100 preiswerten Wohnungen mitten im Regierungsviertel hatten sich lange gegen den Abriss gewehrt. Doch auch Briefe an Angela Merkel und Joachim Gauck, die ebenso wie Katarina Witt und Günter Schabowski mal eine Edelplatte in der Wilhelmstraße bewohnten, brachten keinen Erfolg. Schließlich überzeugten sechstellige Abfindungssummen auch die letzten Mieter vom Auszug.
Auch sonst gehen die österreichischen Investoren das Projekt sehr großzügig an. Mehr als 100 Millionen Euro soll der siebengeschossige Neubau im Art-déco-Stil kosten. Die 165 Eigentumswohnungen werden zwischen 500 000 und mehreren Millionen Euro gehandelt, womit sie zu den teuersten Berlins gehören dürften. «Das Klientel, das sich diese Wohnungen leisten kann, gibt es in Berlin längst», sagt Farkas. «Wir haben jetzt auch das passende Produkt für sie.»
Im Erdgeschoss entstehen fünf Läden, darüber in zwei Etagen bis zu 83 Quadratmeter große und vollmöblierte Apartments. Je höher man kommt, desto größer die Wohnung und der Luxus. Die sechste und siebente Etage bilden zweigeschossige Townhäuser, die einschließlich Terrasse bis zu 500 Quadratmeter Fläche haben. «Hier haben sie einen traumhaften Blick zum Reichstagsgebäude, Gendarmenmarkt und Alex», schwärmt Farkas. Die erste Stadtvilla sei bereits verkauft. Im 3. Quartal 2018 soll alles bezogen sein.
Das Schicksal der Nummern 56-59 soll den anderen rund 900 Plattenbauwohnungen an der Wilhelmstraße erspart bleiben. Das Bezirksamt Mitte lässt auf Initiative der Linksfraktion im Bezirksparlament prüfen, ob für das Gebiet eine «Verordnung über die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart» aufgestellt werden kann. Gegebenenfalls soll ein entsprechendes städtebauliches Gutachten angefertigt werden. Im Vergleich zu anderen Bauten des industriellen Wohnungsbaus der DDR sei hier eine «relativ starke Differenzierung in der Gestaltung» durch besondere Details und zusätzliche Elemente erkennbar«, heißt es in der Begründung.
»Kommt die Verordnung nicht, besteht die Gefahr, dass auch andere Häuser abgerissen werden und bezahlbarer Wohnraum im Stadtzentrum verloren geht«, befürchtet der Bauexperte der Linksfraktion in Mitte, Sven Diedrich. Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) sind allerdings keine weiteren Abrisspläne bekannt.
Die gibt es dafür in der Nachbarschaft: Im Rücken der Plattenbauten, an der Cora-Berliner-Straße, direkt gegenüber des Holocaust-Mahnmals, soll ein Haus mit 125 Mietwohnungen entstehen. Die hölzernen Pavillons mit Souvenirläden und Restaurants werden abgerissen. »Eigentlich sollten wir schon Ende März raus, aber jetzt haben wir noch zwei Monate Schonfrist bekommen«, sagt eine Verkäuferin. Die Pavillons waren nur als Zwischenlösung gedacht, bis der Neubau startet.
Der war ursprünglich noch von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte geplant worden, die das Grundstück wie die Häuser an der Wilhelmstraße dann aber an einen privaten Investor verkaufte. Der veräußerte einzelne Immobilien inzwischen weiter. Für das Grundstück am Mahnmal haben die beiden Eigentümerfamilien, die ungenannt bleiben wollen, jetzt den Bauantrag gestellt. Investiert werden soll ein dreistelliger Millionenbetrag, die Fertigstellung ist für Ende 2018 geplant. Über die Miethöhe ist noch nichts bekannt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.