Beleg für die »zivil-militärische Diktatur«

In Argentinien wird erstmals ein Unternehmer für seine Mittäterschaft in die Junta-Verbrechen verurteilt

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.
Zivilisten waren mittendrin und nicht nur dabei. In Argentinien ist erstmals ein Unternehmer wegen Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 verurteilt worden.

Die Frage nach der Beteiligung von Wirtschaft, Medien, Kirchen und Gerichten an Argentiniens Militärdiktatur mündete in den vergangenen Jahren in den Begriff »zivil-militärische Diktatur«. Verstrickt in die Verbrechen der Militärdiktatur war Marcos Levín. Ein Bundesgericht in der nördlichen Provinz Salta verurteilte den früheren Eigentümer des Busunternehmens La Veloz del Norte am Montag zu zwölf Jahren Gefängnis wegen der Mittäterschaft bei der Freiheitsberaubung und Folter eines damaligen Mitarbeiters seiner Firma.

Levín war in den 70er Jahren zugleich Vorsitzender der Transportunternehmervereinigung Festap in Salta. Ihm wird vorgeworfen noch vor dem Putsch am 24. März die Provinzpolizei dazu gedrängt zu haben, gegen Mitglieder der Unión Tranviarios Automotor (UTA) vorzugehen, die sich für verbesserte Arbeitsbedingungen eingesetzt hatten. Im Januar 1977 hatte Levín bei der Polizei einen mutmaßlichen Betrug seiner Firma angezeigt und eine Liste mit rund 20 Namen seiner Angestellten vorgelegt. Mindestens 16 Personen seien daraufhin verhaftet und unter Folter zu einem Geständnis gezwungen worden, so der Vorwurf.

Zum Prozess führte jedoch lediglich die Verhaftung von Víctor Cobos, der sowohl als Fahrer beschäftigt, als auch als führender Gewerkschafter der UTA im Unternehmen aktiv war. Cobos galt somit als politisch Verfolgter und seine Klage wurde zugelassen. »Die Richter haben bewiesen, dass sie im höchsten Maße ehrenhaft sind und keine Angst hatten, dieses exemplarische Urteil zu fällen«, sagte Cobos nach der Urteilsverkündung. Levín habe noch immer einen mächtigen Einfluss. Ob es im Fall der anderen Betroffenen ebenfalls zu Verfahren kommt, muss der Oberste Gerichtshof entscheiden.

Cobos war am 22. Januar 1977 in der Firma festgenommen und auf eine Polizeistation gebracht worden. Dort wurde er gefoltert und gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der er nicht nur seine Arbeitskollegen des Betrugs an der Firma beschuldigen musste, sondern auch selbst einen Firmendiebstahl gestehen musste. Danach wurde er für drei Monate im Gefängnis Villa Las Rosas eingesperrt.

Neben Levín verurteilten die Richter auch drei mitangeklagte ehemalige Polizeiangehörige. Zwei erhielten ebenfalls jeweils zwölf Jahre Haft, der dritte wurde, zu acht Jahren verurteilt. Die Richter blieben damit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Diese hatte für Levín eine 18-jährige Haft gefordert.

Dennoch zeigten sich Vertreter von Menschenrechtsgruppen zufrieden. Es sei ein historischer Prozess, der einen Weg weise, kommentierte Oscar Rodríguez. »Wir können annehmen, dass die jetzige Etappe der juristischen Aufarbeitung jenen Teil des zivilen Bereichs der Gesellschaft erfasst, der nicht direkt, sondern als Komplize am Völkermord in Argentinien teilnahm.«

Das Urteil gegen Levín hat auch eine pikante aktuelle Note. Während der Gerichtsprozess im vergangenen September begonnen hatte, ließ sich der damalige Präsidentschaftskandidat Mauricio Macri im November mit Levín ablichten. Das Foto der beiden hatte in den sozialen Medien für heftigen Wirbel gesorgt.

Gegenwärtig ermittelt die argentinische Justiz gegen neun Unternehmer wegen der mutmaßlichen Mittäterschaft an den Verbrechen während der Diktatur, ebenso gegen ehemalige leitende Angestellte von Mercedes Benz Argentina wegen Entführung und Folter von siebzehn Arbeitern, von denen vierzehn bis heute verschwunden sind.

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