Gebaute Form und spirituelle Farbe

Erwin Hahs zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit - eine Ausstellung in der Salongalerie »Die Möwe«

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

In hellen, differenziert aufeinander abgestimmten Farben - mattem Türkisblau sowie Grau- und Ockertönen - ist sein Selbstbildnis von 1923 gehalten. Man sieht ihm an: Dieser Maler, eine charismatische Persönlichkeit, wusste, was er wollte. Vier Jahre zuvor war der gebürtige Berliner Erwin Hahs an die hallesche Kunstgewerbeschule berufen worden und baute hier an der »Burg« die Malklasse auf. Die Malerei gab ihm auch den Impuls zur farbigen Wand und zum Wandbild wie zu Bühnenbildentwürfen. 1933 wurde er aus dem Lehrdienst entlassen und in der Nazizeit als »entarteter« Künstler diskriminiert. Von 1946 bis 1952 konnte er dann wieder als Lehrer und Inspirator an der »Burg« in Halle wirksam werden - bis die Formalismus-Debatte ihn in die Emeritierung zwang. Realitätsbewusstsein, aber auch eine selbsterkennende und meditative Kraft spiegeln sich in der klaren Bildtektonik wider, die als wesentliches Erbe der Hahs-Schule bis in die 1960er Jahre hinein in der halleschen Malerei zutage trat.

Mit Landschaften, Stillleben, figürlichen Kompositionen, Akten, Porträts und abstrakten Kompositionen aus unterschiedlichen Schaffensphasen gedenkt die Salongalerie »Die Möwe« dieses Künstlers der klassischen Moderne, der von expressiven Anfängen über die Vereinfachung der Formen und Farben zur Abstraktion gefunden hat. Es war gerade die Gleichzeitigkeit von gegenständlichen und ungegenständlichen, abstrakten Bildern, die ihm dazu verhalf, sowohl seine psychischen Erregungs- und Spannungszustände als auch die Transformation des Materiellen ins Geistige umzusetzen.

Hahs hat seine Bilderfahrung aus dem malerisch-offenen Bereich in den tektonisch-kubischen Bereich übertragen. Es ist die Erfahrung der Farbnähe zum Betrachter: Obgleich in einer Ebene gemalt, scheinen warme Farben dem Auge näher, kalte Farben dem Auge ferner zu liegen. Kandinsky konnte ein Blau durch Farbintensivierung gleichsam in unendliche Tiefen stürzen lassen und ein Rot dem Betrachter explosiv entgegenschleudern. Hahs aber umgrenzt die Farbe geometrisch exakt, so dass der Eindruck vor- und zurückspringender Flächen entsteht. Aus dem Raumwert der Farbe hat Hahs die Konsequenz gezogen und konnte so Räume optisch vertiefen.

»Dunkles Leben« (1930) - es handelt sich offensichtlich um ein Psychogramm, das die innere Situation des Malers schildert - beschattet seine künstlerische Entwicklung, »Schwere Gedanken« (1930) suchen ihn heim - und »Doppelzüngige Schlange« (1931), ein zusammengerolltes Menschenwesen mit zwei Gesichtern, mag wohl schon auf die Demagogie der Nationalsozialisten verweisen. »Dynamik« (1932): Eine organische Form »schwimmt« in einem rosaroten Farbmeer. So groß ist die Spannung zwischen Innen und Außen, dass das Innerste nochmals durch eine geometrische Form abgesichert - aber auch nach Außen geöffnet - wird. Hatte der Künstler in »Gefangene Kräfte« (1933) eine sinn- und endlose Rotation in einem eingezwängten Raum dargestellt, so werden in den »Begegnenden Kräften« (1956) regelmäßige geometrische Formen in unterschiedlichen Farben - auf unregelmäßige gesetzt; aus dem Gegen- und Aufeinander ergibt sich ein harmonisches Ineinander. Selbst geometrischen Figuren - wie Kreise oder Dreiecke - scheinen also auf geheimnisvolle Weise von innen her belebt.

Seine Figuren - Akte - bannt Hahs in Raumebenen, dessen Verschränkung und Verlagerung ein Raumgewebe ergibt, in dem die Spannungen im Menschen reflektiert werden. Die Figur ist das Statische und der Raum das Bewegte - oder umgekehrt. Die Erweiterung in die dritte Dimension erfolgt nicht über die Perspektive, sondern über die Raumhaltigkeit des »Hell-Dunkel« (1951). Vor allem aber durch die räumlichen Distanzwerte der Farbe - durch Steigerung der farbigen Energie, des farbigen Lichts, durch die komplementären Passagen und die von Kalt und Warm.

Erwin Hahs - Begegnende Kräfte. Salongalerie »Die Möwe«, Auguststr. 50b, Mitte, Di-Sa 12-18 Uhr, bis 30.4.

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