Mehr Bewerber als Azubi-Stellen
Über 9000 Ausbildungswillige warten auf ihre Chance auf einen erlernten Beruf
Die Steigerung ist beeindruckend. Um fast 22 Prozent stieg die Zahl der bei der Arbeitsagentur gemeldeten Berufsausbildungsstellen von 2014/ 2015 auf 2015/2016, in konkreten Zahlen von 9780 auf 11 926. Gleichzeitig stieg die Zahl der Bewerber von 13 772 auf 14 408, das sind 4,6 Prozent mehr. Es geht also deutlich aufwärts, trotzdem erhält rein numerisch fast ein Fünftel aller Bewerber keine Chance auf eine Ausbildung. Und weil das schon seit vielen Jahren so geht, galten zum Stichtag am 30. September des vergangenen Jahres 9346 Menschen als unversorgt.
Auf der anderen Seite sind auch 7605 angebotene Stellen unbesetzt geblieben. Dafür macht Jutta Cordt, Chefin der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Arbeitsagentur, mehrere »Disparitäten« verantwortlich. Einerseits zwischen Anforderungen und Wünschen zur Arbeitsstelle, aber auch in der Bereitschaft, einen weiter entfernten Beschäftigungsort - sei es in Berlin oder auch im Umland - zu wählen. Ihrer Meinung nach entscheiden sich auch zu viele Jugendliche nach der 10. Klasse für den Gymnasialzweig und Abitur, um in Anschluss »dann aber doch eine Ausbildung zu machen«.
Die Zahl der unversorgten Bewerber um Azubistellen stieg von März 2015 auf März 2016 von 9181 auf 9346 (plus 1,8 Prozent), die Zahl der unbesetzten Stellen von 6931 auf 7605 (plus 9,7 Prozent).
Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge sank von 19 485 im Jahr 2009 auf 16 785 im Jahr 2013, seitdem sind sie relativ konstant. 2015 waren es 16 539 Abschlüsse.
Die fünf häufigsten Ausbildungsberufe waren 2015 Einzelhandelskaufmann, Bürokaufmann, Verkäufer, Hotelfachmann und Koch.
Seit Oktober 2015 erhalten nach und nach alle Bezirke Jugendberufsagenturen. Sie dienen Jugendliche als einziger Ansprechpartner, um sie ohne Ämterrennerei in Arbeit zu bringen. Als nächstes eröffnet am 18. April der Standort Lichtenberg. nic
»Seit etwa drei Jahren ist die Zahl der tatsächlich besetzten Ausbildungsstellen mit ungefähr 16 700 relativ gleich geblieben«, beklagt Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK), obwohl das Angebot auf »Rekordniveau« sei. Über ein Drittel der Betriebe könnten ihre Stellen nicht besetzen. Gründe seien die alternde Gesellschaft und »die starke Neigung, zu studieren«. Man unternehme viele Aktivitäten, um Studienaussteiger in Ausbildung zu bringen. Bei Jugendlichen haben sich Praktikumsangebote als hilfreich erwiesen.
»Die Zahlen machen uns ausgesprochen glücklich«, sagt dagegen Jürgen Wittke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer. Um 8,7 Prozent stieg die Zahl der unterschriebenen Verträge. Auch für Abiturienten seien Ausbildungen im Handwerk attraktiv, 19,6 Prozent aller Azubis hätten Hochschulreife. »Das ist bundesweite Spitze.«
Spitze ist Berlin auch seit Jahren bei der Zahl junger Menschen, die ihre Schullaufbahn ohne Abschluss beenden, 9,8 Prozent waren das im Jahr 2014. Viele kommen im Handwerk unter, sechs Prozent aller Azubis dort haben keinen Abschluss. »Die Schule ist immer noch ein System, das Hilfe braucht«, kommentiert Jan Eder. »Wir versuchen das als Bundesagentur für Arbeit aufzufangen«, sagt Jutta Cordt. So gebe es Maßnahmen, bei den Jugendliche gleichzeitig eine Ausbildung machen und einen Schulabschluss nachholen können. Eder hofft, dass sich die Reformen der letzten Jahre im Schulsystem auch in absehbarer Zeit positiv auf die Abbrecherquote auswirken.
Daniel Wucherpfennig vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) beklagt, dass Berliner Betriebe bundesweit Schlusslicht bei der Ausbildungsquote seien. Auch seien von Betriebsseite mehr Anstrengungen nötig, um häufig pauschal als »nicht ausbildungsreif« bezeichnete Jugendliche erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Wucherpfennig lobt das Handwerk ausdrücklich für die Bemühungen, auch Menschen mit Förderbedarf auszubilden.
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