Keine Aussöhnung mit Gott

Der Inszenierung von Joseph Roths Roman »Hiob« am Deutschen Theater Berlin mangelt es an stilistischer Geschlossenheit

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Roman »Hiob« von Joseph Roth gilt als schwer für das Theater zu adaptierender Stoff. Am Deutschen Theater Berlin hat es nun die Regisseurin Anne Lenk versucht. Durchaus eigenständig, aber auch mit Schwächen.

»Mein Hiob findet ihn nicht«, sagte der Schriftsteller Joseph Roth einem befreundeten Kollegen, der ihm bescheinigt hatte, dass sein Held Mendel Singer mit Gott gerungen und ihn am Ende gefunden habe. In Roths Leugnen von Mendels Aussöhnung mit Gott liegt der grundsätzliche Unterschied zum alttestamentarischen »Buch Hiob«. Dieses Buch vom Ringen eines vom Schicksal geschlagenen Menschen, der in seiner Lebens- und Glaubenskrise an Gott fast zerbricht, aber zu ihm zurückfindet, hat den 1939 in einem Pariser Armenspital gestorbenen Roth zum Schreiben herausgefordert. Es handelt bekanntlich von einem Gerechten aus dem Lande Zu, über den überraschende Katastrophen hereinbrechen, die ihn seiner Gesundheit und seines Besitzes berauben und der von seinen Freunden Elifas, Bildat und Zofar davon überzeugt wird, dass Gottes Gerechtigkeit unbegrenzt ist.

In Roths Roman aber widersetzt sich der Held den Tröstungsversuchen und beklagt die von Gott erteilten Schläge: »Alle Pfeile aus seinem Köcher haben mich schon getroffen, nun kann er mich nur noch töten.« Zu unglaubwürdig ist für ihn die wundersame Fügung vom unverhofften Auftauchen des scheinbar unheilbaren Sohnes Menuchim, der zum Stardirigenten aufgestiegen ist und den Alten ins Nobelhotel einquartiert. Zu viel auch hat Mendel zuvor ertragen müssen: Die beiden Söhne fallen im Ersten Weltkrieg - in amerikanischen Diensten der eine und als Kämpfer der Kosakenarmee der andere -, die Ehefrau stirbt darauf aus seelischem Schmerz, die Tochter verliert den Verstand, weil sie die unstillbare Sehnsucht nach der körperlichen Liebe nicht beherrschen kann, und Mendel selbst wird als rechtloser Knecht im Viertel herumgestoßen.

In der Fassung des Deutschen Theaters Berlin (Text von Anne Lenk und Sonja Anders und in Szene gesetzt von Anne Lenk) gibt es den Bekehrungsversuch der Freunde aus dem jüdischen Viertel nicht. Die Texte der Herren Rottenberg, Groschel und Menkes sind auf Mendels Familienmitglieder aufgeteilt. Mendel selbst steigert sich in eine Raserei der Gottesverdammnis. Mit sich überschlagender Stimme beklagt er die Schläge gegen sich und fordert von Gott die Rückkehr seiner gestorbenen Familienmitglieder. Er verbrennt seine Gebetsutensilien und auf die Frage, was er da verbrennt, behauptet er trotzig »Ich verbrenne Gott«. Die Erschöpfung zwingt ihn zu Boden und als der plötzlich aufgetauchte Sohn Menuchim das von Mendel so geliebte »Menuchims Lied« anstimmt, versetzt das den Alten gleichsam in einen Heilschlaf. In Momenten wie seinem Hassausbruch verlässt Bernd Moss seine fast durchgängig eingenommene Haltung der ratlosen Resignation. Schon als er schreiend Gott um Rat gebeten hatte, ob er bei seinem Übersiedeln nach Amerika den behinderten Sohn zurücklassen soll oder als er bei Kriegseintritt seiner Söhne mit panischem Entsetzen herausschrie: »Meine Söhne werden sterben!« hatte er den Gestus des Beleidigten und Getretenen verlassen.

Darstellerisch aber ist Bernd Moss der große Hassausbruch am Ende nur bedingt gelungen. Das Mittel des Schreis nutzt sich bald ab und schon nach kurzer Zeit gibt es keine Steigerungsmöglichkeiten mehr. Differenzierter in ihren Mitteln allerdings Almut Zilcher als Mendels Frau Deborah, der zweiten Figur, die individuelles Profil gewinnt. Sie vermag mit unerwarteten körperlichen und sprachlichen Mitteln Wirkungen von großer Emotionalität zu erzielen. An ihrem zurückgelassenen Sohn klammert sie sich mit übermenschlicher Kraft, vor dem Ehemann spuckt sie aus, ihm so ihre Nichtachtung zu demonstrieren, des Rabbis positive Zukunftsweissagung den Sohn Menuchim betreffend, treibt sie in eine wahre Triumphorgie und zum Besten der Inszenierung gehört ihre Reaktion auf die Nachricht vom Tod ihres Sohnes Schemarjah. In gespenstischer Langsamkeit erstarrt sie da auf ihrem Stuhl, reißt sich die grauen Haare aus und formt die Lippen zum markerschütternden Schrei.

Von solch holzschnittartiger Größe sind manch andere Einfälle der Regisseurin weit entfernt. Anstatt sich auf die Kerngeschichte um die Familie Mendel zu konzentrieren, hat sie sich zu oft in Nebenhandlungen des Romans verloren. Schemarjahs amerikanischer Geschäftspartner Mac gebärdet sich als Parodist eines ewig Kaugummi kauenden Cowboys, und ohne zwingenden dramaturgischen Sinn werden die Frauen aus der Familie Mendel in die New Yorker Unterhaltungsmaschinerie eingepflanzt.

Ein anderes Problem der Inszenierung: was das individuelle Handeln der Figuren betrifft, geht es einfach zu spät los. Eine geschlagene halbe Stunde lang erzählen die Mendel-Kinder, sich gegenseitig unterbrechend oder ergänzend, Roths Text nach. Nicht selten greifen sie dabei auch zu den Mitteln der Illustration. Ist vom brutalen Versuch der Geschwister, Menuchim zu ertränken, die Rede, schlagen sie alle gemeinsam mit riesigen Brauseflaschen auf den Bruder ein. Die atmosphärische Dichte von Roths Erzählen wird auf solche Weise nicht erreicht. Daran ändert auch der Versuch nichts, einzelne Vorgänge ins Zeichenhafte zu überhöhen. Der weissagende Rabbi erscheint in solch einer Spielweise überlebensgroß und scheinbar mit mehreren Armen ausgestattet, der umtriebige Fluchteinfädler Kapturak nicht als Kneipenkrösus, sondern als sinnenfreudiger Faun im Schneeflockenwirbel. Insgesamt eine durchaus eigenständige Annäherung an einen schwierigen Text, der es aber an stilistischer Geschlossenheit fehlt.

Nächste Aufführungen: 9. und 24. April

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