Im Bällebad des Zynikers

Der Fall Böhmermann: Wie pubertäres Gemotze zum Inbegriff von Freiheitsrechten hochgejubelt wird

Große Worte werden herumgereicht: Meinungsfreiheit. Kunstfreiheit. Satirefreiheit. Das alles ist so langweilig, weil Böhmermanns Kalkül gar nicht durchsichtiger sein kann: Provokation um jeden Preis.

Es böhmermannt gerade gewaltig. Seit der ZDF-Nischenkomiker in seiner Sendung den türkischen Präsidenten kalkuliert und massiv beleidigt hat, wird man von dem Namen Jan Böhmermann von früh bis abends verfolgt. Böhmermann, in dem manche die Zukunft der Fernsehunterhaltung sehen, hatte so ziemlich alle ihm verfügbaren Zoten auf Recep Tayyip Erdogan gemünzt und das Ganze mit der Warnung versehen, dass man eine solche Schmähkritik keinesfalls äußern dürfe. Vorgelesen hat er sie natürlich trotzdem, dazu hatte er die Injuriensammlung schließlich aufgeschrieben, aus der der Begriff Ziegenficker nicht einmal besonders hervorsticht.

Nun wird eine große Debatte darüber geführt; die Feuilletons haben endlich wieder ein Thema, das sie seitenlang und blumig ausmalen können. Große Worte werden herumgereicht: Meinungsfreiheit. Kunstfreiheit. Satirefreiheit.

Das alles ist so langweilig, weil Böhmermanns Kalkül gar nicht durchsichtiger sein kann: Provokation um jeden Preis. Dafür hat ihm das ZDF in seinem Spartenkanal Neo eine Spielecke eingerichtet, und in diesem Bällebad tobt der Berufszyniker sich aus. Nicht wenige lieben und verehren ihn deshalb. In Sachen Erdogan ist Böhmermann auf einen Zug aufgesprungen, den das NDR-Satiremagazin Extra 3 mit einer wirklich guten Erdogan-Verhöhnung auf die Reise geschickt hatte. Der deutsche Botschafter in Ankara musste sich Belehrungen im türkischen Außenministerium anhören, die Bundesregierung versuchte sich rauszuhalten, um Erdogan nicht zu verärgern - das ist alles durchdiskutiert. Aber nicht für Böhmermann. Mit seinen Beleidigungsversen hat er eine gewaltige Werbemaschine angeworfen, die gewährleistet, dass nun selbst all jene seinen Namen kennen, die noch nie ZDFneo gesehen haben. Und nach Böhmermann springen auch andere noch schnell auf den Erdogan-Bashing-Express auf, weil es gerade billige Aufmerksamkeit bringt.

Das eigentlich Nervtötende ist, dass nun die Öffentlichkeit schlimmstenfalls wochenlang mit der Verteidigung eines Selbstdarstellers behelligt wird. Dass pubertäres Gemotze, wie es auf jedem Schulhof zu hören ist, zum Inbegriff von Freiheitsrechten hochgejubelt wird. Dabei gäbe es genügend lohnendere Anlässe für den berechtigten Reflex, sich gegen obrigkeitsstaatliche Bevormundung zur Wehr zu setzen.

Natürlich ist zu erwarten, dass sich die Bundesregierung den juristischen Zudringlichkeiten aus Ankara verweigert. Aber das heißt ja noch lange nicht, dass man jeden Stuss super finden muss. Für die Freiheit der Meinung, der Presse, der Kunst zu streiten, dafür gibt es genügend weitaus lohnendere und vor allem berechtigtere Fälle. Satire bezieht ihre Kraft aus der Aufsässigkeit gegen die Mächtigen, aus dem Ungehorsam, der Frechheit. In einer Demokratie wie der deutschen ist es da schwierig; man kann fast alles sagen, man kann fast alles tun. Was anderswo den Kopf kosten könnte, verursacht hier kaum noch ein müdes Lächeln. Da muss schon mal der Ziegenficker ran.

Was hat uns Böhmermann nun eigentlich vor Augen geführt, wovon wir vorher nichts wussten? Worin besteht sein Beitrag zur Diskussion? Dass der lupenreine Erdogan ein skrupelloser, widerlicher Despot ist, der auf demokratische Prinzipien pfeift, wenn sie ihm auch nur im Geringsten lästig werden? Dass die Bundesregierung ihm gegenüber in der Menschenrechtsfrage unglaublich laviert, wenn nicht sogar kuscht, weil sie mit seiner Hilfe Flüchtlinge von Deutschland fernhalten will? Dass Satire weh tun muss? Das wusste man längst schon, auch ohne Böhmermanns Lehrstunde. Dies vielleicht aber noch nicht: Dass man sich nicht gleich künstlich aufregen soll, wenn jemand jemanden als Sodomisten bezeichnet. Denn es könnte ja - toll, toll - Kunst sein.

Ein Autor der »Süddeutschen Zeitung« will herausgefunden haben, was Böhmermann tatsächlich bezweckte - er habe nicht Erdogan kritisieren, nicht die Türken ärgern, nicht Grenzen der Satire ausreizen, sondern den deutschen Humorkonsens verletzen wollen. Ach ja - dass deutscher Humor oft grauenhaft ist, das wissen wir erst dank Böhmermann?

Satire, postulierte Kurt Tucholsky, dürfe alles - dieses Diktum wird jetzt wieder reichlich strapaziert. Aber längst nicht alles, worüber irgendeine Obrigkeit sich aufregt, ist Satire.

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