»Lebenslustige Menschen vergraben im Inneren oft Schmerz«
Die Regisseurin von »Rabbi Wolff« über nicht planbare Szenen, Unabhängigkeit und Spannungen innerhalb der jüdischen Gemeinde
Haben Sie lange gebettelt, um Rabbi Wolf für den Film zu begeistern?
Die Idee wurde an uns nach den Premieren von »Im Himmel, unter der Erde« herangetragen. Die Zuschauer mochten ihn und wollten gerne mehr über ihn erfahren. Damals habe ich abgelehnt. Die Redaktion von Arte hat nicht locker gelassen und mich gebeten, den Film zu drehen. Ich war damals hochschwanger. Trotzdem bin ich nach Schwerin gefahren. Rabbi Wolff hat sofort zugesagt.
Haben Sie die Stationen des Films vorgegeben?
Er hat uns erlaubt, seinen Alltag zu begleiten. Nur die Reise nach Amsterdam haben wir angeregt. Seinen regulären alljährlichen Aufenthalt musste er absagen. Er war in London gestürzt und hatte sich mehrere Brüche zugezogen.
Das Baden im Toten Meer als Metapher für sein Leben ist nicht gestellt?
Solche Szene ist nicht planbar Rabbi Wolff wollte während einer Israel-Reise unbedingt im Toten Meer schweben und wir sind ihm gefolgt. Mir war aber sofort klar, so möchte ich den Film enden lassen.
Der Film springt zeitlich und räumlich, gerade dadurch entsteht das Bild dieses wunderbaren Menschen. Wie ist die Konzeption entstanden?
Der Film ist im Schnitt entstanden. Ich wollte keinen Film über ein gelebtes Leben. Mich fasziniert ja, wie er jetzt sein Leben gestaltet. Rabbi Wolff ist ein wahnsinnig inspirierender Mensch. Er strahlt Fröhlichkeit und Lebenslust aus. Er ist sich jeden Tag bewusst, dass es schön ist, auf der Welt zu sein. Aber solche Menschen vergraben im Innern oft Schmerz und Traurigkeit. Die Flucht aus Deutschland hat ihn ebenso geprägt wie der frühe Tod seiner Schwester und seines Bruders.
Hatten Sie während des Drehs in Mecklenburg-Vorpommern Probleme mit Rechtsradikalen?
Nein. Das Haus der Jüdischen Gemeinde am Markplatz in Schwerin ist auch nicht durch Beamte oder Poller gesichert. Es lädt die Menschen ein. Rabbi Wolff ist in 15 Jahren auch nur einmal von einem Angetrunkenen angepöbelt worden. Mit seiner unverwechselbaren Silhouette gehört er zu dieser Stadt, in der die NPD im Landtag sitzt. Er nimmt die Schweriner mit und in die Pflicht, wenn er sich bei den Deutschen bedankt, dass sich der Schrecken des Holocaust nicht wiederholen kann.
Sie deuten unterschiedliche Ansichten zwischen den aus der Ukraine und Russland zugewanderten Gemeindemitgliedern und ihm an. Was verursacht die Spannungen?
Das jüdische Leben in den Neuen Ländern ist mit der Zuwanderung von Menschen wieder belebt worden, die ihre Religion nie praktizieren durften. Sie sind orthodox. Frauen dürfen nicht aus der Thora vorlesen. Anderseits sind sie liberal. Der Gottesdienst wird auf Russisch gefeiert. Rabbi Wolff sieht das ganz pragmatisch. Wir sind weder liberal noch orthodox, wir sind die Gemeinde in Mecklenburg. Und sie wissen, was sie an ihm als Landesrabbiner haben. Dass sein Vertrag mit der Schweriner Gemeinde nicht verlängert wurde, sollte ihn entlasten und ist seinem Alter geschuldet. Natürlich will er das nicht wahr haben.
Wer sie beide kennt, hat den Eindruck, dass sich zwei Seelenverwandte gefunden haben?
Ich habe mich in seiner Gesellschaft sehr wohl gefühlt. Trotzdem würde nicht sagen, ich bin eng mit ihm befreundet. Ich versuche, mir einiges bei ihm abzuschauen und seelenverwandt zu sein. Doch ich bin noch weit davon entfernt.
Was verbindet Sie?
Ich teile seine Sehnsucht nach Unabhängigkeit. Ich lasse mir ungern Vorschriften machen. Deshalb bin ich unabhängige Filmemacherin. Aber ich lebe in einem anderen Korsett. Ich will für meine Familie da sein. Rabbi Wolff ist alleine geblieben. Seine Unabhängigkeit schenkte ihm Zeit zum Nachdenken, zum Lesen und Lernen. Er ist ein weiser Mensch. Das kann ich nicht von mir behaupten.
Am 14. April feiert der Film im Rahmen des Festivals »achtung berlin – new berlin film award« seine Weltpremiere (19.15 Uhr, im Filmtheater am Friedrichshain)
Weitere Termine:
Freitag, 15. April, um 16.30 Uhr in den Kinos den Hackeschen Höfe
Samstag, 16. April, um 19.45 Uhr im fsk-Kino
Sonntag, 17. April, um 11.00 Uhr in den Kant Kinos
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