Vor dem unsichtbaren Abgrund
Im Falle des hier abgebildeten Gemäldes von Christian Thoelke haben Sie Glück, wenn Sie es in der durchgängig farbigen e-Paper-Variante dieser Zeitung betrachten können. Thoelkes Bilder in Schwarz-Weiß - das ist etwa so, als wenn das Full-HD-Gerät defekt ist und man ersatzweise den Röhrenfernseher aus den 60er Jahren aus den Keller holen muss. Ins Auge sticht in den scharf konturierten, fast schon quietschend farbigen Arbeiten des 1973 geborenen Berliners vor allem ein zwischen Nachtblau über strahlendes Violett bis ins zuckrige Rosa changierender Abendhimmel. Seine Orientierung an den Traditionen der Neuen Sachlichkeit und des magischen Realismus geht auf Thoelkes Malereistudium bei Wolfgang Peuker an der Kunsthochschule Weißensee und seine anschließenden Meisterschülerjahre bei Ullrich Hachulla an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zurück.
Von diesem Donnerstag bis zum 1. Juni ist - original und in Farbe - Thoelkes Bildserie »Niemandsland« in der Galerie 100 zu sehen (Konrad-Wolf-Str. 99, Lichtenberg). Lauter Szenen des Übergangs, Momentaufnahmen ohne Hinweis auf die konkreten Umstände. Wer sind denn die adrett gescheitelten, barfüßigen jungen Männer, die sich hier anschicken, einen Maschendrahtzaun zu überwinden? Flüchtlinge? Allem Anschein nach nicht die aus dem Fernsehen. Wie weit mag der Zaun über den unteren Bildrand hinaus in die Tiefe reichen? Und welches Diesseits trennt er von welchem Jenseits?
Seltsam, denn man kann es nicht sehen: Aber es scheint, als würde hinter dem Zaun ein bodenloser Abgrund lauern. mha Abb.: © Christian Thoelke
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