Russlands Fenster zu den Sternen

Erste Rakete startet in Wostotschny - doch das Kosmodrom ist längst nicht fertig

  • Lesedauer: 3 Min.

Russland eröffnet einen hochmodernen Weltraumbahnhof - in Wostotschny im Fernen Osten. Doch Pleiten, Pech und Pannen überschatten das von Präsident Putin zur Chefsache erklärte Projekt.

Von Thomas Körbel

und Wolfgang Jung, Wostotschny

Der Stolz der russischen Ingenieure ist 52 Meter hoch: ein mobiler Versorgungsturm auf Schienen für den Abschuss der ersten Rakete vom Kosmodrom Wostotschny. Wie ein gewaltiger Schrank soll der Gerüstturm vor Starts um die Raketen geschoben werden. Bei Temperaturen zwischen minus 50 und plus 40 Grad Celsius im Osten Sibiriens könnten die Spezialisten geschützt arbeiten, so Igor Komarow, Chef der Raumfahrtbehörde Roskosmos. »Das ist einzigartig.«

Die Bewährungsprobe für den neuen Weltraumbahnhof steht am Mittwoch an. Präsident Wladimir Putin will mit dem ersten Raketenstart von Wostotschny den Beginn einer neuen Ära in der russischen Raumfahrt einläuten. Die Rakete vom Typ Sojus-2.1a mit drei Satelliten im Gepäck soll um 4.01 Uhr MESZ abheben.

Wostotschny im Gebiet Amur rund 8000 Kilometer östlich von Moskau wird Russlands neues Fenster zu den Sternen. Hier will die stolze Raumfahrtnation bis 2030 ihren ersten Kosmonauten zum Mond schicken, ein Flug zum Mars soll folgen.

Für den Ausbau eines früheren Militärgeländes haben Tausende Arbeiter eine 700 Quadratkilometer große Schneise - eine Fläche etwa so groß wie Hamburg - in die Taiga geschlagen. Wichtige Infrastruktur wie die Schnellstraße Tschita-Chabarowsk und die Baikal-Amur-Eisenbahn sowie Seehäfen machen den Standort attraktiv. Ein Vorteil von Wostotschny ist auch der relativ kurze Abstand zum Äquator. So kann die Erdrotation der Rakete beim Start zusätzlichen Schub geben.

Doch trüben massive Korruptionsvorwürfe das Bild des Prestigeprojekts. Millionen Euro versickerten, mehrere Funktionäre sitzen im Gefängnis. Pfusch beim Bau und Streit mit Arbeitern über nicht gezahlte Löhne haben zudem den ursprünglich für Dezember 2015 geplanten Start verzögert. Der kremlkritischen Zeitung »Nowaja Gaseta« zufolge lagen die Schulden im März bei 117 Millionen Rubel (1,5 Millionen Euro). Wegen einer tiefen Rezession musste die Regierung das Raumfahrtbudget bis 2025 um ein Drittel auf rund 18 Milliarden Euro kürzen.

Allen Problemen zum Trotz ist Russlands Raumfahrtelite vom Erfolg des Milliardenprojekts überzeugt. Wostotschny sei eindeutig das beste Kosmodrom, sagt Komarow. In vielen Punkten setze die hochmoderne Raketenbasis weltweit Maßstäbe, sei es bei der Automatisierung oder in Technologiefragen. Mit Wostotschny will sich Russland langfristig unabhängig machen vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan. Für das gewaltige Areal zahlt Russland jährlich rund 100 Millionen Euro Pacht. Baikonur steht wie kein zweiter Ort für die Erfolge der sowjetischen Raumfahrt. Von hier aus startete Juri Gagarin vor 55 Jahren zum ersten Flug eines Menschen in den Kosmos. Nach dem Zerfall der UdSSR und Kasachstans Unabhängigkeitserklärung 1991 lag Baikonur aber plötzlich im Ausland. »Der Bau eines Kosmodroms auf eigenem Territorium wurde für Russland damit aus strategischer Sicht alternativlos«, sagt der Militärexperte Igor Korotschenko.

Beim überwiegend russischen Personal in Baikonur geht indes die Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes um. Moskau hat das Kosmodrom zwar noch bis 2050 gepachtet und will es nach der Inbetriebnahme von Wostotschny weiter nutzen. Aber der Umfang der Starts in Kasachstan dürfte abnehmen. Viele Arbeiter erklärten sich bereit, von Baikonur nach Wostotschny umzusiedeln.

Nach dem ersten Start soll dort zunächst für ein Jahr Ruhe sein. Denn Wostotschny ist längst nicht fertig gebaut. Der zweite Raketenstart wird 2017 erwartet. Komarow schätzt, dass der Betrieb 2018 richtig anlaufen wird. Mit dem Start kommerzieller Satelliten will Russland dann viel Geld verdienen. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.