»Wir erwarten nur eins«

Die Wiedereröffnung der Berliner Alma mater - der späteren Humboldt-Universität. Von Armin Jähne

  • Armin Jähne
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie war die jüngste unter den »alten« deutschen Universitäten. 1810 eröffnet, hatte sie sich prächtig entwickelt - bis zum Jahre 1933. Zwölf Jahre später lag die Friedrich-Wilhelms-Universität (seit 1828) in baulichen und geistigen Trümmern. Sie war mit dem »Dritten Reich« untergegangen. Über 50 Prozent ihrer Gebäude waren zerstört oder stark beschädigt. Weniger gelitten hatte die Charité. »Vor den Ruinen der Berliner Universität«, schrieb eine Berliner Zeitung, »vor den zerschossenen Mauern und den ausgebrannten Hörsälen thronen einsam und erhaben die Gebrüder Humboldt. Im Garten weiden Kühe und Schafe die schüttere Grasnarbe ab, auf die Hirten schaut träumend Theodor Mommsen ... Ein erschütterndes Bild!«

An ein normales Studium unter diesen Bedingungen war nicht zu denken. Dennoch wurden schon 1945 Vor- und Förderungskurse für künftige Studenten angeboten, um Bildungsdefizite bei Arbeiter- und Bauernkindern oder ehemaligen Soldaten zu minimieren. Erste Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten begannen, Ende Januar gab es 1946 bereits 35 heizbare Räume mit 3200 Plätzen. 27 weitere, aber kalte Räume mit 2800 Plätzen waren noch zu verglasen. Es ist erstaunlich, was angesichts der flächendeckend Zerstörungen und des allgemeinen Mangels in Berlin in so kurzer Zeit an materieller Vorleistung für die Wiederaufnahme des universitären Lehrbetriebes an traditionellem und wissenschaftsträchtigem Ort erbracht wurde. Das war auch politisch wichtig, da es den Vorschlag gab, die Universität nach Dahlem zu verlegen.

Mehr noch, sofort nach Kriegsende wurde beim Magistrat die Abteilung Wissenschaft und Hochschulen eingerichtet, die der vom Kommunisten Otto Winzer (1902-1975) geleiteten Abteilung Volksbildung unterstand. Ihr fiel die Aufgabe zu, mit der Wiederbelebung von Kultur und Wissenschaft auch die Neueröffnung der Berliner Universität voranzutreiben: auf demokratischer und antifaschistischer Grundlage, im Geiste von Frieden und Humanismus. Am 8. Januar 1946 erging der entscheidende Befehl Nr. 4 des Oberbefehlshabers der Sowjetischen Militäradministration: »Zum Zwecke der Ausbildung deutscher Spezialisten, die imstande sind, in der Praxis die demokratischen Prinzipien zu verwirklichen, befehle ich 1. dem Gesuch der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung ist stattzugeben und ab 20. Januar 1946 ist der Unterrichtsbetrieb an der Berliner Universität in folgenden Fakultäten wiederaufzunehmen: der naturmathematischen, philosophischen, medizinischen, veterinärmedizinischen, landwirtschaftlichen, juristischen und theologischen.«

Unter 2. wurde angeordnet, dass für die Leitungsorgane der Universität, der Fakultäten und für die Berufung auf die Lehrstühle wie für die Lehrtätigkeit insgesamt keine Personen zuzulassen sind, die als Mitglieder der NSDAP oder auf exponierte Weise das Nazisystem unterstützten. Im Juni wurde mit der Entnazifizierung des universitären Lehrkörpers begonnen, ein Prozess, der Härten und Missverständnisse nicht ausschloss.

Am 29. Januar war es dann soweit. Professor Theodor Brugsch (1878-1963) berichtet: »Es war eine unvergessliche Feier, als wir an diesem trüben Januartage die Berliner Universität mit einem Festakt in der damaligen Staatsoper in der Friedrichstraße wiedereröffneten. Die Professoren saßen auf der Bühne in Talaren, die wir von der Universität Jena entliehen hatten.« Brugsch legte dem neuen Rektor Professor Johannes Stroux (1886-1954) Mantel und goldene Amtskette um. »Dann hörten wir seine Rede über die Bedeutung des Begriffs Kultur. Die Musik intonierte das Brandenburgische Konzert Nr. II von Bach«. Seitens der Sowjetischen Militäradministration sprach Generalleutnant Prof. Pjotr V. Solotuchin (1897-1968). Er sagte u. a.: »Der heutige Tag soll zu einem neuem Aufschwung im Leben der deutschen Kultur und Wissenschaft werden ... Wir haben kein anderes Ziel, als dem deutschen Volk behilflich zu sein, seinen Wiederaufbau und sein demokratisches Leben zu organisieren. Wir erwarten nur eins: entschlossenen Bruch mit allen Überresten der faschistischen Ideologie.«

Am 14. Mai waren 1721 Studenten und 1513 Studentinnen (!) immatrikuliert worden, 1160 künftige Mediziner, 51 im Fach Theologie. Nur 6,4 Prozent stammten aus Arbeiter- und zwei Prozent aus bäuerlichen Familien. 86,5 Prozent der Studenten gehörten keiner Partei an, 265 (8,2 Prozent) kamen aus der SPD oder KPD. 450 Studenten zählten zu den von den Nazis politisch oder rassistisch Verfolgten (Zahlen nach H. Maskolat). Der Weg zu einer leistungsstarken und international anerkannten Ausbildungs- und Forschungsstätte - seit Februar 1949 Humboldt-Universität - war frei.

Armin Jähne, Jahrgang 1941, war Professor für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität.

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