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Internet: Im neoliberalen Nirwana
Ist das Internet ein Freiheitsort oder ein kapitalistischer Albtraum? Die Geschichte der »Tech-Bros« zeigt: Beides schließt sich nicht aus
»California is done, it’s total destruction«, lamentierte Marc Andreessen, Venture Kapitalist und Entwickler des Netscape-Navigators, im Juli 2024 in seinem Podcast »The Ben & Marc Show«. Grund für den Niedergang Kaliforniens seien die angekündigten Steuerreformen der Biden-Administration, die, so Andreessen sichtbar mitgenommen, den Gründern jeden finanziellen Anreiz nähmen und somit auch den Investoren wie ihm die Anlagemöglichkeiten zerstörten. Wenig später verkündete Andreessen, der sich bis dato als »Normie-Democrat« bezeichnet hatte und bei Joe Biden und Bill Clinton ein und aus ging, dass er, um dieser Zerstörung Einhalt zu gebieten, bei der Wahl 2025 für Donald Trump stimmen werde.
Die Biden-Administration, die neben den befürchteten Steuerplänen unter anderem bereits Anti-Trust Gesetze forciert und die Kryptowährungen sowie die Künstliche Intelligenz an die kurze Leine des Staates hatte nehmen wollen, habe nämlich »den Deal« aufgekündigt, der die Tech-Milliardäre und die Gesellschaft bis dato zusammengebunden hätte. »Deal« beschreibt hier ein einfaches Rezept eines Milliardärs: Der Staat lässt das Tech-Kapital weitestgehend alleine an der Zukunft der Welt tüfteln und die Gesellschaft klatscht, wenn sich seine Protagonisten als Philanthropen und Mäzene hervortun. Doch statt Big Tech dabei zu beklatschen, wie die Industrie zu immer größeren Monopolen heranwuchs und mehr und mehr gesellschaftliche Sphären zu Objekten von Apps und Plattformen machte, dachte Joe Biden laut darüber nach, Google zu zerschlagen und kaum jemand kam mehr auf die Idee, Mark Zuckerberg dafür zu bejubeln, als er ankündigte, 99 Prozent seines Vermögens in eine wohltätige Stiftung zu überführen.
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Die »California Ideology«
Andreessen und sein Partner Ben Horowitz waren nicht die einzigen Kapitalisten des Silicon Valley, die im vergangenen Jahr ihre progressive Hülle ablegten. In der vormaligen Bastion des liberalen Kapitalismus, wo Herkunft, Geschlecht und Körper einst zu unsichtbaren Eigenschaften erklärt wurden, die sich bald im revolutionären Raum des Cyberspace auflösen, wird nun ein Präsident unterstützt, der mit Massendeportationen und dem Kampf gegen die Diversität warb. Mark Zuckerberg, der Barack Obama einst hofierte, verkündete wenige Tage vor Trumps Amtseinführung öffentlich seinen Rückzug vom Progressismus. Er beendete das Faktencheck-Programm von Facebook, feuerte die entsprechenden Manager*innen und kündigte an, das Content-Management vom liberalen Kalifornien ins konservative Texas umzuziehen. Mit JD Vance schickte die Tech-Elite sogar ihren eigenen Kandidaten ins Rennen. Vance, der sich während seiner Zeit in Silicon Valley noch als »Never Trumper« bezeichnete und die rassistische Polizeibrutalität kritisierte, ist ein ehemaliger Mitarbeiter und Vertrauter des rechten Tech-Unternehmers Peter Thiel.
Trump wiederum belohnte die »Tech-Bros« großzügig für ihre Unterstützung: Andreessen wurde zu einem Key-Advisor ernannt, Zuckerberg darf Trump nun regelmäßig in Mar-a-Lago besuchen und für Elon Musk wurde eigens die DOGE-Behörde geschaffen, die momentan etwa dabei ist, das US-Bildungsministerium abzuwickeln. Diesen vermeintlichen politischen Wandel des Silicon Valley könnte man mit dem Opportunismus des Geldes begründen und würde damit wohl auch nicht falsch liegen. Doch hinter dieser Allianz steht auch die Ideologie des Silicon Valley, die bereits seit Jahren progressive wie rechte antistaatliche Rebellen verbindet. Die erste Beschreibung dieser Ideologie stammt aus dem Jahr 1995, kurz vor der Boomphase der »New Economy«, von den linken Medientheoretikern Richard Barbrook und Andy Cameron: Propheten aus der Tech-Industrie zufolge würden »allein die kybernetischen Ströme und chaotischen Wirbel der freien Märkte und der globalen Kommunikation die Zukunft bestimmen«. Diese »California Ideology«, wie Barbrook und Cameron sie nennen, sei ein eigentümlicher Mix aus kybernetischem Marktfundamentalismus und dem Libertarismus der amerikanischen Gegenkultur. Dieser habe durch die Dominanz der US-Tech-Unternehmen allerdings bereits globale Ausbreitung erlangt und ihre Verfechter arbeiteten an der Verwirklichung ihres Traumes, durch die Abschaffung von Demokratie und sozialer Solidarität »ein digitales Nirvana«, zu errichten, »das ausschließlich von liberalen Psychopathen bewohnt wird«.
Irrweg der Gegenkultur
Auf der Suche nach dem Nirwana war auch ein Teil der US-Gegenkultur der 60er Jahre, die quasi ihren Hauptsitz in Kalifornien hatte – allerdings noch in der analogen Welt. Während die Neue Linke im Kampf gegen den Vietnamkrieg und in der Bürgerrechtsbewegung die Konfrontation mit dem Staat suchte, zogen sich zahlreiche Freigeister am Ende des Jahrzehnts vor der als erdrückend empfundenen Nachkriegsgesellschaft in Landkommunen zurück.
Diese »New Communalists«, die auf dem Höhepunkt der Bewegung im Jahr 1970 zu hunderttausenden in Landkommunen lebten, wollten die Bürokratie, den Rationalismus und den Zentralismus des Staates nicht durch eine Politik von unten bekämpfen, sondern horizontal: durch ihre Kommunen-Netzwerke und ein anderes Mindset, häufig befördert durch die Einnahme psychedelischer Drogen. Diese Kommunen zerfielen in den frühen 70er Jahren jedoch massenweise. Gleichzeitig kündigte sich die ökologische und ökonomische Krise an, die bald Inflation, Stagnation und steigende Arbeitslosigkeit mit sich brachte. Die Nachkriegseuphorie war beendet, worauf zahlreiche Ex-Kommunarden ihre Hoffnungen auf eine vermeintlich widerspruchsfreie Welt der absoluten Freiheit und Bewusstseinserweiterung in den Bereich der entstehenden Techniken des Internets verschoben.
Paradigmatisch für diese Tendenz der Gegenkultur steht der Ex-Kommunarde Stewart Brand. Er organisierte einst das psychedelische »Trips Festival« und stand im Jahr 1968 hinter »The Mother of all Demos«: Eine Präsentation in San Francisco, auf der der Computertechniker Douglas Engelbart, der gemeinsam mit Brand regelmäßig LSD konsumierte, ein vollständiges Computer-Handware- und Software-System vorstellte. Viele der grundlegenden Elemente des Personal Computers (PC) wie die Maus, Fenster oder Hyperlinks, wurden auf dieser Live-Demonstration, die enormen Einfluss auf Apple und Microsoft hatte, zum ersten Mal einer Öffentlichkeit präsentiert. Mit dem »Whole Earth Catalogue«, einem Magazin und Produktkatalog der Gegenkultur, führte Brand die neuen Technologien und die damit einhergehende Weltanschauung einer Welt als Einheit von Informationssystemen in die Gegenkultur ein. Der Computer, der noch zu Beginn der 60er Jahre als Herrschaftsapparat des alle Freiheiten vernichtenden Staates galt, hatte innerhalb von zwei Jahrzehnten einen Bedeutungswandel zum Instrument antistaatlicher Subversion durchlaufen. So konnte Apple im Jahr 1984 seinen Macintosh als revolutionäres Instrument gegen die befürchtete Gleichschaltung der Menschheit anpreisen: »Apple Computers will introduce Macintosh. And you’ll se why 1984 won’t be like ›1984‹«.
Im Taumel des Neoliberalismus gingen die digitalen Kommunarden und die libertäre Rechte schließlich ihre Allianz ein.
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Kalifornische Propheten
In den 90er Jahren schienen sich die Träume der gescheiterten Kommunarden schließlich doch noch zu verwirklichen, da die neoliberale Konterrevolution endlich die Pforten zum digitalen Nirwana aufstieß. Die Clinton-Administration setzte die von Ronald Reagan eingesetzte Politik der Deregulierung fort, während zeitgleich der PC Einzug in die Privathaushalte fand. Gab es im Jahr 1993 gerade einmal 62 Webserver, so waren es ein Jahr später bereits 1250. Marc Andreessen ging im August 1995 mit seinem benutzerfreundlichen »Netscape Browser« online und das Betriebssystem von Microsoft war bald globaler Standard. Gleichzeitig erlebte die US-Ökonomie ab 1993 eine Hochkonjunktur, die die Jahre der Stagnation beendete. Der freie Markt und die digitalen Technologien würden von nun an für endloses Wachstum in einer postindustriellen Gesellschaft sorgen, so die Vorhersage der kalifornischen Propheten.
In diesem Taumel gingen die digitalen Kommunarden und die libertäre Rechte schließlich ihre Allianz ein. So schrieben in der einflussreichen Zeitschrift »Wired« Leute wie der genannte Steward Brand oder auch John Barlow, Republikaner und Lyriker von »The Grateful Dead«, über die Vorzüge von Staatsabbau und Deregulierung und bejubelten Figuren wie den libertären rechten Politiker Newt Gingrich. In der »Magna Carta for the Knowledge Age« von 1994, einem einflussreichen Manifest, das ein Gemeinschaftsprodukt von anarchokapitalistischen »Cyberpunks« und konservativen Autoren war, findet die kalifornische Ideologie ihren bis dato schärfsten Ausdruck: Der Cyberspace sei die letzte »American Frontier«, die es zu erobern gelte. Diese Eroberung sei auf die Deregulierung ganzer Sektoren angewiesen. Erst dann könne sich »das zentrale Ereignis des 20. Jahrhunderts« vollziehen: »der Umsturz der Materie« und der Sieg des Geistes über »die rohe Kraft der Dinge«.
Aber die Realität sieht anders aus: Seit der Eroberung der letzten Grenzen gelang es mitnichten, die Materie zu stürzen – im Gegenteil schlägt die Dingwelt in Form der ökologischen Katastrophe und sozialer Bewegungen mit mehr roher Kraft zurück als von den kalifornischen Propheten jemals ausgemalt. Das einst progressiv klingende Versprechen einer postmateriellen Welt, in der soziale Ungleichheit, Geschlecht oder Race keine Rolle mehr spielen, wird deshalb gegenwärtig regressiv verwirklicht – durch die autoritäre Entnennung dieser weiterhin vorhandenen Unterdrückungsformen, begleitet von einem drastischen Angriff auf den Sozialstaat, die Frauenrechte und Antidiskriminierungsprogramme. Wie weit die marktliberalen Psychopathen ihr dystopisches Nirwana noch werden verwirklichen können, hängt nun von den widerständigen Kräften der materiellen Welt ab.
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