Tsipras will EU-Sondergipfel
Gespräche über neue Kürzungsauflagen und Kreditprogramm zunächst gescheitert / Eurogruppe verschiebt Treffen / In Athen herrscht große Empörung / Giegold: Immer neue Forderungen des IWF und der Bundesregeriung helfen nicht
Berlin. Die SYRIZA-geführte Regierung strebt einen Sondergipfel der EU an, um auf höchster Ebene über die Fortsetzung des Kreditprogramms zu beraten - die Gespräche mit den Institutionen über deren umstrittene Auflagen waren zuvor gescheitert. Regierungschef Alexis Tsipras wolle bei EU-Ratspräsident Donald Tusk einen EU-Sondergipfel beantragen, berichteten in der Nacht zum Mittwoch zahlreiche griechische Medien unter Berufung auf das Büro des Ministerpräsidenten. Ein Telefonat war für Mittwochmorgen geplant. Unklar blieb, ob und wann dieser Gipfel stattfinden soll.
Die Eurogruppe hatte zuvor die maßgeblich von der Bundesregierung und vom IWF getragene Forderung nach einem weiteren Kürzungspaket zunächst nicht durchsetzen können. Auch die Verhandlungen über die Umsetzung der bereits vereinbarten Kürzungsauflagen waren gescheitert. Am späten Dienstagabend teilte ein Sprecher von Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem mit, es werde kein Sondertreffen der Euro-Finanzminister zu Griechenland am Donnerstag geben, denn es sei mehr Zeit nötig. Es soll nun ein Treffen zu einen späteren Zeitpunkt geben, ein Termin dafür blieb offen. Es werde weiter verhandelt, hieß es von europäischer Seite, man könne deshalb nicht von einer Krise sprechen.
»Die aktuelle Verhandlungsblockade zwischen Griechenland und den Gläubigern ist von beiden Seiten verschuldet«, warnte der Grünen-Europapolitiker und Finanzexperte Sven Giegold. IWF und Bundesregierung würden mit immer neuen Kürzungsauflagen Öl ins Feuer gießen. »Die Gläubiger sollten vielmehr darauf drängen, dass Athen bei den Reformen, etwa in der Steuerverwaltung, endlich Ergebnisse liefert«, forderte der Grünen-Politiker. Hier habe die SYRIZA-Regierung tatsächlich »schwere Versäumnisse« vorzuweisen. Neue Kürzungsauflagen würden die Rezession nur verschärfen, eine politische Krise provozieren und die Armut und Arbeitslosigkeit noch weiter verschlimmern, so Giegold.
»Wir geraten langsam wieder in die Sackgasse«, sagte ein Mitarbeiter des Finanzministeriums, der als Experte an den Verhandlungen teilnimmt, der Nachrichtenagentur dpa. In Athen herrscht große Empörung darüber, dass die Gläubiger darauf beharren, Griechenland solle neben den im vergangenen Juli vereinbarten Kürzungen im Umfang von 5,4 Milliarden Euro weitere Streichungen im Haushalt im Umfang von rund 3,6 Milliarden Euro beschließen - auf Vorrat. Dieses zweite Paket soll in Kraft treten, falls Athen bis 2018 das gesetzte Ziel nicht erreicht, einen Überschuss von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes vor Abzug der Kreditzinsen zu erzielen.
Dieses Ziel könne Tsipras' Regierung politisch gar nicht schaffen, heißt es aus Regierungskreisen in Athen. Im Parlament mit 300 Sitzen hat sie nur noch eine hauchdünne Mehrheit von 153 Abgeordneten. Die entscheidende Abstimmung für Tsipras soll nächste Woche stattfinden. Die kleineren Oppositionsparteien zeigen bislang keinen Willen, Tsipras mit den Stimmen ihrer Abgeordneten zu helfen. Die Gewerkschaften rufen bereits zum »Aufstand gegen den Sparmaßnahmen-Grabstein«, wie sie die neuen Rentenkürzungen und Steuererhöhungen nennen. Die Rentner sollen 1,8 Milliarden Euro verlieren. Die Steuern und die indirekten Steuern sollen um jeweils 1,8 Milliarden Euro erhöht werden.
Die neue Kürzungsforderung aus Brüssel und Berlin steht zudem nicht im Einklang mit dem im Sommer vereinbarten, umstrittenen Deal von Brüssel. Die Regierung in Athen schlägt dagegen eine Art »automatischen fiskalen Stabilisator« vor: Verfehle das Land sein Ziel beispielsweise um zehn Prozent, sollten demnach alle Staatsausgaben um zehn Prozent gekürzt werden. Die Gläubiger lehnen das aber ab und fordern neue Kürzungen. Innerhalb der linken Regierungspartei SYRIZA gibt es dagegen Widerstand, auch die Regierung stemmt sich dagegen. In Athen wird laut Medienberichten spekuliert, Tsipras könnte Neuwahlen ausrufen.
Ohne eine Einigung wollen die Gläubiger kein Geld aus dem laufenden Kreditprogramm auszahlen. Griechenland muss im Juli zwei Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank EZB zurückzahlen. Hinzu kommen weitere Rückzahlungsverpflichtungen. Dies erhöht den Druck auf die laufenden Verhandlungen. Agenturen/nd
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