Sorry für Hartz IV
Auf einer Fake-Seite entschuldigt sich das Arbeitsministerium für Hartz IV und die Agenda 2010
Manchmal kann ein Wort so viel bedeuten. Manchmal ist es schwer, dieses Wort über die Lippen zu bekommen: Und so wird aus einem einfachen »Entschuldigung«, manchmal das »most hardest word«, wie Elton John bereits 1967 wusste.
Doch nicht so das Bundesministerium für Arbeit: Dort weiß man, wer an dem Erfolg dieses Landes beteiligt ist und auch die Unannehmlichkeiten, die viele Menschen dafür auf sich nehmen müssen, sind dem Ministerium bekannt. In einem Video danken sie daher jenen, die unter der Agenda 2010 leiden, und sagen all den Benachteiligten: »Sorry.«
Was sich wie ein schlechter Scherz liest, ist tatsächlich eine erneute Aktion der Medienaktivisten rund um das »Kollektiv Peng!«, die diesmal zusammen mit dem Schauspiel Dortmund eine Kooperation eingegangen sind. Zusammen haben sie eine Homepage erstellt, die äußerlich durchaus eine offizielle Seite des Bundesministeriums sein könnte. Eine professionell wirkende Plakataktion unterstützt den Anschein, dass tatsächlich das Bundesministerium für Arbeit hinter der Aktion stecken könnte.
Um eine Gefühl für die Schwierigkeiten der Hartz-IV-Betroffenen zu vermitteln, werden auf der Seite Geschichten von Menschen erzählt, die unter den Bedingungen bei den Jobcentern und Arbeitsämtern leiden. Ziel der Kampagne ist es, Menschen dazu zu bewegen, auch ihre Geschichte zu erzählen und so den Betroffenen ein Gesicht zu geben.
Eine Anja R. berichete: »Ich habe wirklich schlimme Erfahrungen durch das Jobcenter und Sanktionen gemacht. Häufig fehlten Unterlagen oder meine Post kam nicht an. Mir wurde sogar von Seiten des Jobcenters gedroht, «wenn du diese EGV nicht unterschreibst, sanktionieren wir dich!»«
Und ein Marco S. erklärt: »Durch die Sanktion hatte ich kurzzeitig Ebbe im Geldbeutel. Und ich bin alleinerziehender Vater. Wie kann es sein, dass dabei auch das Geld des Kindes gekürzt wird? Ich musste dadurch meinen Sohn im Kindergarten vom Essen abmelden, ich konnte nichtmal diesen Betrag aufbringen.«
Auf der Seite wird auf die sozialen Missstände in Deutschland hingewiesen: Das Kollektiv zeigt auf, dass das im Rahmen der Agenda 2010 verabschiedete vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) an mehreren Stellen im Widerspruch zum Grundgesetz stehe.
In einer Stellungnahme, die das Kollektiv dem mimikama-Blog gab, heißt es: »Wir denken, dass die Agenda 2010 eine sozialpolitische Katastrophe ist, und dass das Thema der sozialen Ungleichheit in Deutschland unterbeleuchtet bleibt.«
Deutschland sei eines der reichsten Länder der Welt, dieses Reichtum basiere aber auf einer ausgeprägten gesellschaftlichen Spaltung, die unter anderem vom Hartz-IV-System bewirkt und vertieft würde. »Deshalb dachten wir, es ist an der Zeit, das zu thematisieren und das Bundesministerium in die Verantwortung zu ziehen«, erklären die Aktivisten in ihrem Schreiben.
Das Bundesministerium äußerte sich nun über Facebook zu der Aktion. In einem Beitrag betonten sie, dass ein freies Land Satire nicht verbieten solle und könne, weisen jedoch daraufhin, dass in diesem Fall die Satire nicht eindeutig erkennbar sei, da das Corporate Design, das Logo und weite Teile des Impressums übernommen wurden. Das Medienkollektiv wird »gebeten«, die Satire kenntlich zu machen.
Die Reaktionen auf Facebook zeigen, dass es Leute gäbe, die sich freuen würden, wenn es keine Satire wäre, sondern das Ministerium tatsächlich etwas Reue zeigen würde. So fragt eine Meera S., ob es nicht trotzdem gut wäre, sich mal richtig zu entschuldigen und die Sanktionen abzuschaffen. Insgesamt scheint man enttäuscht, dass das Ministerium es als reine Satire abtut und sich inhaltlich gar nicht mit der Thematik beschäftigt.
Das »Kollektiv Peng!« erreichte erst vor einiger Zeit mit einem Tortenwurf gegen Beatrice von Storch für Aufsehen. Ein als Clown verkleideter Aktivist hatte die AfD-Politikerin wegen ihrer Äußerung, notfalls auf Flüchtlinge zu schießen, »getortet.« jab
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