Oldtimer direkt vom Fließband
Vor 25 Jahren wurde die Produktion des Trabant eingestellt - der hat heute aber sogar ein eigenes Zentralorgan
Es gab Zeiten, da war der Automobilbau der DDR Weltspitze. Im Herbst 1955 wurde auf der Leipziger Messe ein Pkw ausgestellt, dessen Hülle vollständig aus Plastik bestand. Zwar waren Kotflügel und Türverkleidungen auf ein Gestell aus Holz geschraubt, ein Material also, das noch vage an die Zeit der Postkutsche erinnerte. Für die Beplankung aber wurde ein neuartiger Werkstoff genutzt, der nicht nur leicht und wetterbeständig, sondern quasi auch Inbegriff der Nachkriegsmoderne war. »Es war eine Sensation«, sagt Werner Reichelt, »das erste serienmäßig produzierte Auto der Welt mit einer Karosserie aus Kunststoff.«
Die Freude wurde nicht getrübt durch den Umstand, dass die Weltneuheit aus einer Notlage geboren worden war. »Es fehlte in der DDR schlicht an Blech für Karosserien«, sagt Reichelt. Bleche waren zuvor in Schlesien und im Rheinland hergestellt worden; beide Quellen waren für die Industrie in dem noch jungen Land versiegt. Zu dessen Markenzeichen gehörte freilich, dass Mangel stets auch als Ansporn für Kreativität verstanden wurde. Ab 1952 suchte eine kleine Gruppe von Ingenieuren, zu denen auch der gerade 25-jährige Umformtechniker Reichelt gehörte, nach Alternativen - und stieß auf Materialien wie Polyvinylchlorid, die Betriebe wie Buna im Chemiedreieck bei Halle in großen Mengen herstellten. »Davon«, sagt Reichelt, »hatten wir genug.«
So kam der Trabant in die Welt - ein Auto, das zeitlebens irrtümlich als »Rennpappe« verspottet wurde, dessen wichtigstes Konstruktionsmerkmal aber die Karosserie aus Kunststoffteilen wurde, genauer gesagt aus einem Duroplast, dem zu gleichen Teilen Baumwollfasern beigemengt wurden. Ihre Ursprünge hatte die Idee im Jahr 1936, als die »Autounion« mit Kunststoffen experimentierte. In der DDR wurde die Technologie deutlich verändert; unter anderem sollte mit einem viel geringeren Pressdruck gearbeitet werden. Es gab zahlreiche Patente und es gab Rückschläge. Im Herbst 1955 aber erblickte die Sensation das Licht der Öffentlichkeit: der Personenwagen P 70, das erste Auto der Welt mit Plastikhülle. Zwei Jahre danach ging der P 50 in Nullserie, besser bekannt als Trabant 500. »Ohne unsere Erfahrungen mit dem P 70«, sagt Reichelt, »hätte es dieses Auto nicht gegeben.«
Eine Karosserie aus Kunststoff hatte auch der Trabant, der am 30. April 1991 in Zwickau vom Band rollte: als letzter seiner Art. Das Land, das ihn hervorgebracht hatte, war schon sechs Monate zuvor verblichen; nun folgte das Auto, das seine Bürger gleichermaßen begehrt wie verflucht hatten. Über drei Millionen Trabant waren bis zu jenem Tag produziert worden, nun war Schluss. Zwar hatte man das Auto, das jahrzehntelang von einem stinkenden Zweitaktmotor in Schwung versetzt worden war, auf seine alten Tage aufgemotzt und mit einem Viertaktmotor von VW versehen. Trotzdem war der Trabant vom Weltniveau etwa so weit entfernt wie ein Kreisklassekicker vom WM-Finale. Reichelt, der die Zeremonie im VEB Sachsenring Zwickau vor nunmehr 25 Jahren miterlebte, erinnert sich an Tränen und Wehmut; er räumt aber auch ehrlich ein: »Einen Trabi wollte keiner von uns mehr haben.«
Vielleicht ist das kleine Auto damit ja ein treffendes Sinnbild für das Land als ganzes. Auf den Weg gebracht mit Feuereifer und viel Wagemut - am Ende ungeliebt und sitzen gelassen. Den Punkt, an dem der Schwung verloren gegangen war und das Siechtum einsetzte, kann Reichelt zumindest für den Trabant ziemlich präzise benennen. Im Jahr 1968 stand die Entscheidung an, ob der seit 1964 produzierte Trabant 601 in naher Zukunft durch das Modell 603 ersetzt wird - ein Auto, das auf den erhaltenen Fotos fast avantgardistisch wirkt: eine schlanke Vollheck-Limousine, deren von Lothar Sachse entworfene Karosserie den Jahre später gebauten VW Golf bereits vorweg nimmt; dessen neun Nullserien-Modelle teils mit Kreiskolbenmotoren, teils mit Viertaktern ausgestattet waren; und für die der Formgestalter Claus Dietl ein durch funktionale Eleganz beeindruckendes Interieur entworfen hatte.
»Wenn der 603 in Produktion gegangen wäre«, ist Reichelt überzeugt, »wären die DDR-Bürger 1989 mit einem modernen Auto über die Grenze gefahren.« Doch Günter Mittag, der damals das Büro für Industrie- und Bauwesen im ZK der SED leitete und später dessen Sekretär für Wirtschaft wurde, habe das Projekt beerdigt. Der Trabant 601 wurde weiter gefertigt; er blieb 27 Jahre ohne wesentliche Veränderungen. »Wir haben«, sagt Reichelt, »am Ende einen Oldtimer gebaut.«
Im Frühling 1991 war damit Schluss. Während beim Trabant eine Vollbremsung hingelegt wurde, begann einige Kilometer weiter im Stadtteil Mosel ein neues Kapitel: die Produktion von Pkw der Marke Volkswagen. Das VW-Werk samt seiner Zulieferer ist heute der wichtigste Arbeitgeber in Westsachsen; die dort produzierten Autos gehören zu den auch im Freistaat am häufigsten gekauften Pkw. In Komfort und technischer Ausstattung stellen sie den Trabi in den Schatten, und auch wenn man den ausgewiesenen Abgaswerten nicht immer trauen kann, sind VW-Autos zweifellos modern.
Auf ein Rennen wird sich kein Fahrer eines Trabant, der halbwegs bei Verstand ist, einlassen. In einem Punkt aber haben die Anhänger von Polo, Golf & Co. das Nachsehen: Eine Zeitschrift, ein Magazin für Liebhaber, quasi ein Zentralorgan haben sie nicht. Anders die Fans des Trabant: Sie haben - den »Super-Trabi«: eine 56 Seiten starke, viermal im Jahr erscheinende Liebeserklärung an den kleinen Stinker mit der Karosserie aus Plaste.
Der Mann hinter dem »Super-Trabi« heißt Olaf Seifert, arbeitet für die Agentur ERZ.art in Aue - und fährt selbst gar keinen Trabi. »Ich bin kein Schrauber«, sagt er zur Begründung. Handwerkliches Geschick sei freilich eine Grundvoraussetzung, wenn man den Kleinwagen auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Produktion am Laufen halten wolle. Zwar besteht an Ersatzteilen kein Mangel, doch kann man, anders als Seifert in jungen Jahren, bei einer Panne nicht mehr davon ausgehen, in jedem Dorf auf fachkundige Helfer zu treffen. Techniktipps sind deshalb eine feste Rubrik im »Super-Trabi«; in der aktuellen Ausgabe geht es unter der Überschrift »Mit dem Trabant auf Du und Du« unter anderem um Reifen und die in Neubrandenburg gefertigte Zusatzheizung »Sirokko 211«.
Doch »Super-Trabi« ist weit mehr als ein Magazin für Bastler; es ist gewissermaßen der in Text und Bild geronnene Ausdruck eines ganzen Universums, in dem der Trabant weiter munter seine Kreise zieht. Erstmals aufgelegt 1994 als Programmheft für das erste Internationale Trabanttreffen in Zwickau, verbindet die Zeitschrift heute eine nahezu weltumspannende Gemeinde, die dem zum Kultstatus gelangten Fahrzeug die Treue hält. »Wir haben Leser bis nach Brasilien und in die USA«, sagt Seifert - beileibe nicht nur ausgewanderte Ex-DDR-Bürger. Und wer das Magazin abonniert, fährt in der Regel auch einen Trabant: »Allein der Brasilianer hat vier oder fünf in der Garage stehen«, sagt Seifert.
Gerade für solche Liebhaber ist die Zeitschrift ein Lebensnerv; sie stellt Verbindungen her zwischen einzelnen Fans sowie den vielen Klubs und Vereinen, deren Liste mehrere eng bedruckte Seiten im Mittelteil des Heftes füllt. Akribisch aufgelistet werden auch Trabanttreffen, die nahezu wöchentlich irgendwo in der Republik stattfinden. Unter Überschriften wie »Zweitaktduft zum Weißwurstfrühstück« oder »Mit 29 ›Pappen‹ ins Mittelalter« wird über anstehende oder bereits absolvierte Veranstaltungen berichtet und so Zusammenhalt geschaffen: »Unser Hauptpunkt ist, die Szene zu informieren«, sagt Seifert.
Und die besteht beileibe nicht nur aus ostdeutschen Senioren, die ihren letzten Trabant liebevoll pflegen und in Ehren halten. »Wie ein Hesse zu seinen Trabis kam«, heißt es im aktuellen Heft; ein Foto zeigt einen jungen Mann, der lässig an einem Trabant Kombi lehnt. »Vor allem im Westen wird der Trabant auch bei jungen Leuten zunehmend beliebt«, sagt Seifert. Weltniveau hat der Trabant nicht mehr. Aber er ist kultig, preiswert im Unterhalt und im Unterschied zu neueren Autos auch selbst zu reparieren. »Die Zeiten, da man auf den Trabant herabgeblickt hat«, sagt Seifert, »sind jedenfalls vorbei.«
Zumindest die Karosserie aus Plaste hätte ohnehin nie Anlass zum Spott geben dürfen. Die Frage, wie Bauteile aus Metall ersetzt werden können, beschäftigt die Branche noch immer, wenn auch die Gründe dafür weniger in Materialmangel als etwa in Fragen von Gewicht und Spritverbrauch liegen. Freilich: Duroplast und Baumwolle sind heute nicht mehr die Werkstoffe der Wahl; dafür kommen etwa bei BMW Teile aus Kohlefaser zum Einsatz.
Und auch ein anderes Konzept im Zusammenhang mit dem Trabant ist durchaus als modern zu bezeichnen. Das Auto war so konstruiert, dass es, ein bis zwei grundhafte Instandsetzungen eingerechnet, rund drei Jahrzehnte rollte. »Das Ziel war, mit möglichst geringem Materialeinsatz eine möglichst lange Lebensdauer zu erreichen«, sagt Werner Reichelt - ein Ansatz, der unter dem Stichwort Nachhaltigkeit eine Renaissance erlebt.
Kein Wunder, dass der Ingenieur die von ihm geleitete Entwicklungsabteilung bei seinem Rentenbeginn 1992 erfolgreich überführen konnte: Als »ARS Schmölln« ist sie heute für namhafte deutsche Autohersteller mit Untersuchungen dazu beschäftigt, wie Materialien aus Autos wiederverwertet und Rohstoffe optimal genutzt werden können. Es ist, gut 60 Jahre nach Entwicklung der ersten Karosserie aus Kunststoff, ein Konzept von Weltniveau.
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