Drauf gepfiffen
Wenn Fußballfans angebliche »Grenzen der Geschmacklosigkeit« überschreiten, soll oft nur abgelenkt werden
Ich bin rettungslos naiv. Das muss es sein. Am vergangenen Montag war ich beim Spiel des 1. FC Kaiserslautern gegen RB Leipzig und habe das, was ich dort sah, doch so anders empfunden, als viele meiner Berufskollegen. Jetzt ging es mir wieder so. Auch Mats Hummels kann ich nicht so richtig bemitleiden. Ich fand das Transparent in der BVB-Kurve »Der Kapitän geht als erster das Bord. Am besten sofort!«, sogar recht geistreich. Dass eine Woche zuvor das Porträt des Spielers Willi Orban in einem Fadenkreuz gezeigt wurde, dass in der Stadt Fahndungsfotos mit dem noch deutlicheren Spruch »Wanted dead or alive« hingen, finde natürlich auch ich dämlich, geschmacklos und hohl. Ob es allerdings ein Mordaufruf ist, sei einmal dahingestellt Ich bin mir jedenfalls sicher, dass man von der Art und Weise wie Fans – in diesem Fall sicher: sehr stumpfe Fans – kommunizieren, nichts versteht, wenn man an solche Slogans rein mit juristischen Maßstäben herangeht. »Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht« hat auch noch nie dazu geführt, dass es tatsächlich (auf-)gesucht wurde.
Was über den FCK hereinbrach, war eine regelrechte Sturmflut. Von »skandalösem Lauterer Fanverhalten« war die Rede, von Grenzen der Geschmacklosigkeit, die selbstredend überschritten worden seien, in einer sächsischen Zeitung gar von einer Circus-Maximus-Mentalität (wer ist in diesem Fall noch mal von den Löwen zerfetzt worden?) und ja, es kamen sogar Leser zu Wort, die behaupteten: »Die Schiris haben uns auf dem Kieker«. Und das, wo selbst der Gelb-Rot-Sünder zugegeben hatte, dass alles mit rechten Dingen zugegangen war. Weil eine verdiente gelbe Karte plus die zweite verdiente eben eine verdiente gelb-rote Karte gibt. Das ist so im Fußball. Es sei denn, es wird auch dafür eine Ausnahmeregelung gefunden.
Es ist dann auch merkwürdig, wie bereitwillig sich mancher Journalist – und das gilt längst nicht nur fürs Lautern-RB-Spiel – von seiner ursprünglichen Idee, was das Thema eines Spiels sein könnte, abbringen lässt, wenn ein Funktionär Nebelkerzen zündet. Ob es Thomas Schaaf ist, der sich nach einer peinlichen Niederlage in Frankfurt über einen unwichtigen Kommentar auf »Sky« echauffiert. Oder ob es der x-te »Grenzen-überschritten«-Superlativ von Ralf Rangnick ist – eigentlich können die Herren immer sicher sein, dass sich viele, viele Journalisten auf ihre Fährte begeben werden.
Dem Ergebnis, das aus Sicht des RB Leipzig eigentlich gar nicht so wahnsinnig erfreulich war – immerhin war es ein Rückschlag beim Versuch, aufzusteigen – hat sich nach dem Spiel natürlich kaum einer mehr zugewandt.
Jetzt zu den Pfiffen gegen Willy Orban und zu denen gegen Mats Hummels am vergangenen Wochenende. Die zeugen von einer unfassbaren Naivität. Denn wer glaubt, dass irgendein Spieler auf diesem Planeten nach anderen Kriterien ihren Arbeitgeber auswählen als nach Karriere – und Finanzkriterien, dem ist nicht mehr zu helfen. Es sei denn, er selbst arbeitet als Lehrling im örtlichen Krämerladen und hat zuvor aus lauter Loyalität zum Chef und zu seinem Heimatdorf das Angebot abgelehnt, ins Management von Nestlé aufzusteigen.
Andererseits haben Fans natürlich jedes Recht der Welt, die Hummelse und Orbans dieser Welt so lange auszupfeifen, wie sie wollen. Allein schon deshalb, weil man für das Gehalt eines Top-Managers bei Nestlé auch mal 90 Minuten Krach ertragen kann.
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