Toxische Biederkeit bei extrem Rechten

Nazis können sich noch so subversiv geben, meint Christoph Ruf. In Wahrheit sind sie selbst für die Bewohner eines Seniorenheims zu spießig.

Rechte haben im vergangenen Jahr in Bautzen gegen den Umzug zum Christopher-Street-Day demomstriert.
Rechte haben im vergangenen Jahr in Bautzen gegen den Umzug zum Christopher-Street-Day demomstriert.

Die spektakulärsten Naziaufmärsche waren in jüngster Vergangenheit die Proteste gegen CSD-Veranstaltungen. Wer sich beispielsweise die Bilder aus Bautzen anschaut, sieht bei den Gegendemonstranten fast ausschließlich junge subkulturelle Menschen. Rechts zu sein ist wieder in. Und natürlich bringt ein Rechtsruck die Rückkehr der alten Werte, die immer so seltsam nach Mottenkugel und Altmännerschweiß riechen.

Jüngst gab es beim 1. FC Kaiserslautern (»die Roten Teufel«) eine Choreo, bei der zuerst ein Pentagramm aus Bengalos erschien, ehe man einen Papp-Luzifer vor dem Menschenmeer aufsteigen ließ. Als jemandem, der »The number of he beast« von Iron Maiden schon früher singen konnte als »Hänschen Klein«, gefiel mir das natürlich prächtig. Und ich ging auch nicht davon aus, dass die FCK-Fans nach dem Spiel Jungfrauenblut trinkend und Ziegenbock-anbetend in den Pfälzer Wald zurückfahren würden.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Dennoch ging’s danach im Netz los. Große Aufregung unter 16-Jährigen. Einer rief gar zum Kampf gegen den »Satannismus« (Rechtschreibfehler im Original) auf – und erhielt 3000 Likes. Wahrscheinlich wäre so viel alttestamentarischer Furor selbst dem greisen Papst zu peinlich. Vergleichsweise harmlos im Gegensatz zu den aufgepeitschten Fanatikern bei den Anti-CSD-Demos. Und doch ein weiterer Beweis für die Rückkehr einer gähnend-öden Spießigkeit. Dafür schlage ich den Begriff »toxische Biederkeit« vor. Im Falle der Nazi-Demos zur Schau gestellt von Leuten, die sich rebellisch wähnen und dabei Dinge von sich geben, die den meisten Menschen in einer Seniorenresidenz vorgestrig vorkämen. Das alte Frauenbild, die alte Homophobie, die in ihrer Wahnhaftigkeit seit jeher höchstens noch vom Antisemitismus übertroffen wird.

Mit viel Fantasie kann ich mir ja noch vorstellen, was Menschen gegen die eine gleichgeschlechtliche Ehe haben könnten (vorausgesetzt, sie haben Scheiße im Hirn). Aber gegen queere Menschen selbst zu demonstrieren, macht mich fassungslos. Ich meine, wie erleben diese 18-Jährigen denn ihre eigene Sexualität? Als etwas, das zu steuern oder zu programmieren wäre? Oder haben die gar keine Sexualität, weil die Bengalfackel und das Rudolf-Heß-Porträt als Phallus und Stimulation ausreichen?

Kein Stück weniger gruselig ist, was sich bei den oft noch jüngeren Freunden in den islamistisch geprägten Winkeln mancher Großstädte abspielt. Darüber habe ich gerade eine Recherche abgeschlossen und war dafür an einigen Schulen. An Sätze wie »Wenn mein Bruder schwul wäre, würde ich ihn ertränken wie einen Hund«, darf man sich eigentlich nicht gewöhnen, oder? Scheint aber vielerorts bereits passiert zu sein, wo man akzeptiert hat, dass die große Mehrheit in einer Schulklasse die Frage bejaht, ob die Gebote ihrer Religion wichtiger seien als die Grundprinzipien einer Demokratie.

Gegen jene, die meinen, ein homophober Gottesstaat sei etwas Besseres als eine plurale Gesellschaft, gehört ebenso klare Kante gezeigt wie gegen ewiggestrige Nazis. Bisher regten sich Linke meist nur über Nazis und nur die Rechten über Islamisten auf. Dass Nazis und Islamisten aber in entscheidenden Punkten das Gleiche wollen, könnte sich auch unter Linken allmählich mal herumsprechen.

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