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Lohnsteigerung wie lange nicht - ohne Sozialkomponente

Lob für und Kritik am Abschluss folgen auf die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Insgesamt 4,75 Prozent auf zwei Jahre, eine neue Entgeltordnung, keine Leistungseinschnitte bei der Zusatzversorgung. Wie gut ist der Tarifabschluss für die Beschäftigten von Bund und Kommunen?

Der Entgelttarifvertrag für über zwei Millionen Beschäftigte in Bund und Kommunen ist unter Dach und Fach. Das gesamte Paket, auf das sich die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Deutsche Beamtenbund (dbb) mit der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) als Dienstherr für Bundesbeschäftigte einigten, umfasst mehr. Die am Wochenende zu Ende gegangene 'Tarifrunde drehte sich neben dem Entgelt um zwei weitere zentrale Punkte.

Um die Novellierung der Entgeltordnung stritten die Tarifparteien über zehn Jahre. Dazu kamen Verhandlungen um die Zusatzversorgung, die betriebliche Altersversorgung. Weil die Menschen immer älter werden, geriet das bisherige Modell in Schieflage. VKA und Bund forderten Einschnitte bei den Leistungen, was die Gewerkschaften zurückwiesen.

Demgegenüber standen Gewerkschaftsforderungen nach sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt, 30 Urlaubstagen für Azubis (derzeit 28), ein Ende der sachgrundlosen Befristungen. Am späten Freitagabend nach der dritten Verhandlungsrunde stieg weißer Rauch auf: Ab März 2016 gibt es 2,4 Prozent mehr, ab Februar 2017 weitere 2,35 Prozent.

Die Entgeltordnung (EGO) ist unter Dach und Fach, und das bedeutet für viele Beschäftigte mehr Geld. Er freue sich, dass das endlich abgeschlossen sei, sagte der Tarifexperte und ver.di-Verhandlungsführer Onno Dannenberg gegenüber »nd«. Zuvor habe es lediglich eine Zusatzvereinbarung zum alten Bundesangestelltentarifvertrag gegeben, den der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) im Jahr 2005 ersetzte.

Von der neuen EGO profitieren etwa die unteren Entgeltgruppen, da sie schneller auf eine höhere Stufe kommen. Freuen können sich viele Meister in Handwerksbetrieben des öffentlichen Dienstes oder Schulhausmeister. Auch Ergotherapeuten oder Beschäftigte in der Pflege verdienen mehr. Einige Berufsgruppen wurden gestrichen, weil es sie nicht mehr gibt; etwa der Geldzähler oder der Krankenbesucher der allgemeinen Ortskrankenkassen. Die letzte Entgeltordnung stammte von 1961.

Zu verschenken hat die VKA indes nichts. Gegenfinanziert wird das Ganze durch Einschnitte beim Weihnachtsgeld, das ab sofort auf dem Stand von 2015 eingefroren wird und 2017 um vier Prozent sinkt. Ab 2019 kommen die Tarifsteigerungen wieder dazu, aber die vier Prozent sind weg. Insgesamt bedeutet das, die Beschäftigten verlieren 0,75 Prozent beim Weihnachtsgeld, bekommen aber durch höhere Eingruppierungen 1,7 Prozent mehr. Das haben ver.di und die VKA nach Gewerkschaftsangaben übereinstimmend errechnet.

Als Erfolg sieht Onno Dannenberg, dass der Angriff auf die betriebliche Altersversorgung abgewiesen werden konnte. Erst habe die VKA Einschnitte bei den Leistungen gefordert, dann Beiträge bei allen Versorgungskassen und das auch nur von den Beschäftigten. Letztlich ist ein paritätischer Beitrag dabei herausgekommen und das auch nur für die Kassen, bei denen ein konkreter Finanzbedarf nachgewiesen werden konnte. »Wir sehen das für die dauerhafte Absicherung der Beschäftigten als ganz wichtig an«, sagte Dannenberg und verweist auf das stetig niedrige gesetzliche Rentenniveau.

Doch an dem Abschluss wird auch Kritik laut. Im Schnitt steigen die Löhne und Gehälter um 4,81 Prozent in allen Entgeltgruppen. In Heller und Pfennig: Etwa in der Pflege steigen die Einkommen um rund 97 Euro in den unteren Gruppen, bis rund 249 Euro bei den besser Verdienenden. In sozialen Medien las sich die Kritik am Fehlen der »sozialen Komponente« so: Der Einkommensabstand wächst - auch wenn der Abschluss wegen der niedrigen Inflation die höchste Reallohnsteigerung seit Jahren darstellt. Ärgerlich ist, dass es den Gewerkschaften nicht geglückt ist, wenigstens den Einstieg in die Diskussion um sachgrundlose Befristungen zu erreichen. 50 Prozent der neu Eingestellten erhalten heute einen befristeten Vertrag, 37 Prozent davon ohne einen sachlichen Grund.

Fazit: Der Abschluss ist ordentlich und deutlich höher als das, was die Arbeitgeberseite angeboten hatte. Auszubildende bekommen mehr Urlaub und eine Lehrmittelhilfe. Nicht rasend viel, aber ein Fachbuch ist ein Fachbuch ist ein Fachbuch ..., und die Dinger sind teuer. Die Probleme im öffentlichen Dienst werden damit indes nicht gelöst. Die Belastung wird nicht weniger, das Personal nicht mehr. Eher im Gegenteil. Doch diese Probleme müssen nicht nur die Tarifparteien in Potsdam, sondern die Bundesregierung in Berlin lösen.

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