Soziale Durchmischung per Schulbus
Bildungsrauschen
Am 20. März 1972 erschien im Magazin »Spiegel« unter dem Titel »Erster Schritt zurück« ein für heutige Verhältnisse erstaunlich kritischer Artikel zum Rassismus in den USA, der bereits mit der Schulwahl beginnt. Im Zentrum steht das sogenannte busing, das sich vom englischen Wort »the bus« für »der Bus« ableitet. Das »busing«-Programm wurde in den 1960er Jahren aufgelegt, um die bereits 1954 aufgehobene Rassentrennung in Schulen durchzusetzen. Denn in den USA erfolgte die Schulzuweisung analog zu den Schulsprengeln in Deutschland anhand der Wohnorte der Kinder. Die Wohnquartiere waren damals allerdings überwiegend ethnisch homogen. Das Programm sah vor, die Kinder in die jeweils andere Nachbarschaft einzuschulen und sie mit Bussen hinzufahren. Von Beginn an war dieses Programm vor allem innerhalb der weißen Bevölkerung umstritten. 1971 wurde es dann aber vom Obersten US-Gerichtshof bestätigt.
Während des Wahlkampfs 1972 gelang es der weißen Bevölkerung durch Druck von der Straße, »busing« zum Thema zu machen. »Sie kamen behäbig und ordentlich mit 3621 privaten Limousinen aus Richmond (Virginia) zum Weißen Haus in Washington. Sie wollten zeigen, ›wie gute, saubere Amerikaner der Mittelklasse eine Demonstration aufziehen‹ (…) Die Sprache der Demonstranten aus Richmond war so blütenrein wie ihre Hemdkragen. Sie forderten, ›Kein Schüler des öffentlichen Schulsystems soll wegen seiner Rasse, seines Glaubens oder seiner Hautfarbe auf eine bestimmte Schule verwiesen oder zum Besuch einer solchen Schule gezwungen werden‹.« (spiegel.de)
Es folgte ein aggressiver Wahlkampf. Die »New York Times« (nytimes.com) sprach von einem der »explosivsten innenpolitischen Streitpunkte der USA«. In Florida sei eigens eine Umfrage gestartet worden, bei der sich 74 Prozent der Bevölkerung gegen »busing« aussprachen. Tennessee und Texas sollten folgen. In Michigan habe ein demokratischer Kongressabgeordneter davon gesprochen, dass »jede Pro-Busing-Haltung Selbstmord« sei. Über zwei Wochen habe sich der US-Senat nur noch dem »busing« gewidmet. Am Ende gelang es »den Fraktionsführungen beider Parteien, mit nur einer Stimme Mehrheit einen drastischen Gesetzentwurf zur Einstellung der Bus-Programme abzuwehren. Der Erfolg wurde nur durch ein milderes Anti-Busing-Gesetz erzielt.« Und auch im Repräsentantenhaus seien über Monate mehr als 30 Gesetze zur Unterbindung von »busing« beraten und verabschiedet worden.
Präsident Nixon geriet unter Druck und kündigte ein Gesetz an, »das alle künftigen «busing»-Befehle von Bundesgerichten unmöglich machen werde«. Die Unerbittlichkeit einiger Weißer zeigte sich in der Morddrohung des Ku-Klux-Klan gegenüber einem Bundesrichter. Dieser hatte Anfang 1972 in Richmond die Aufhebung der Verwaltungsgrenzen zwischen zwei Vorortbezirken (91 Prozent weiß) und der City (70 Prozent schwarz) angeordnet. 1974 wurde dann anders entschieden. Mit der Begründung, es gebe eine »de jure«- und eine »de facto«-Rassentrennung, schloss der Oberste Gerichtshof Vorstädte aus dem Programm aus. Lena Tietgen
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