EU-Kritik: Erdogan bringt »Opposition zum Schweigen«
Europaabgeordnete gegen geplante Aufhebung der Immunität von Parlamentskollegen in der Türkei / Erste Abstimmungsrunde erbringt Mehrheit - aber nötige Zweidrittelmehrheit verfehlt
Berlin. Dutzende Europaabgeordnete haben mit einer Petition gegen die geplante Aufhebung der Immunität von Parlamentskollegen in der Türkei protestiert. Unter der Überschrift »Die Opposition zum Schweigen zu bringen, ist nicht der richtige Weg zur Lösung von Problemen« äußern sie darin ihre »tiefe Besorgnis« über den von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP beabsichtigten Schritt. Es sei klar, dass sich das Verfahren vor allem gegen die linke, prokurdische Oppositionspartei HDP richte. Es behindere das Parlament und verstoße gegen demokratische Prinzipien. Zu den deutschen Unterstützern der von der HDP verbreiteten Petition zählen demnach der CDU-Abgeordnete Elmar Brok, die Linken-Politiker Gabriele Zimmer und Fabio De Masi sowie Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms. Insgesamt unterzeichneten bis Dienstag rund 70 Europaabgeordnete.
Zur Aufhebung der Immunität der HDP-Abgeordneten hatte der autoritär agierende Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan aufgerufen. Er wirft den Oppositionspolitikern vor, der »verlängerte Arm« der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Parlament zu sein. In einer ersten Abstimmungsrunde votierte in Ankaraeine Mehrheit für die umstrittene Verfassungsänderung. 348 Abgeordnete stimmten am Dienstag nach Angaben von CNN Türk dafür, 155 lehnten den Antrag ab, dazu gab es acht Enthaltungen. Eine für die Änderung nötige Zweidrittelmehrheit wurde am Dienstagabend jedoch nicht erreicht, wie der Sender CNN Türk berichtete. Die entscheidende Abstimmung ist am Freitag. Stimmen dann zwei Drittel - also 367 Abgeordnete - für die Änderung, wird die Immunität von 138 Abgeordneten einmalig aufgehoben.
Von diesem Schritt wären alle vier im Parlament vertretenen Parteien betroffen. Besonders schwer träfe die Maßnahme aber die HDP: 50 ihrer 59 Abgeordneten soll vor allem wegen Terrorvorwürfen die Immunität entzogen werden. Gegen die HDP-Parlamentarier werden die schwersten Vorwürfe erhoben: Sie werden vor allem beschuldigt, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu unterstützen oder ihr sogar anzugehören. Parlamentarier anderer Parteien sehen sich weniger schweren Anschuldigungen wie etwa Amtsmissbrauch ausgesetzt. Insgesamt liegen nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu 667 Anträge auf Aufhebung der Immunität von 138 Abgeordneten vor. Die Mandatsträger werden verdächtigt, Straftaten begangen zu haben. Betroffen sind auch 27 Parlamentarier der AKP, 51 der Mitte-Links-Partei CHP und neun der ultrarechten MHP sowie eine parteilose Abgeordnete.
Die HDP befürchtet, dass Parlamentarier aus ihren Reihen in Untersuchungshaft genommen werden. Die Partei warnt vor einem »neuen totalitären Angriff« auf die parlamentarische Demokratie, der Erdogan »monopolartigen Zugriff« auf die Legislative ermöglichen würde. Die HDP befürchtet außerdem neue Unruhen in den Kurdengebieten, sollte sie mehrheitlich aus dem Parlament gedrängt werden. Agenturen/nd
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